Auch als Buch: Die besten Stadtgeschichten aus dem Stadtgeschichten - Archiv - zum Wiederlesen & Weiterschenken. "Wiener Stadtgeschichten" mit Illustrationen von Andrea Satrapa-Binder, Echomedia Verlag Ges.m.b.H., ISBN 3-901761-29-2, 14,90 Euro.

Von Montag bis Freitag täglich eine Stadtgeschichte von Thomas Rottenberg

Es war am Freitag. In einer anderen Stadt. Aber G. war sicher, dass derlei auch anderswo passieren könne: Grenzpolizisten – da wir in Köln waren, sagte G. „der Grenzschutz“ – seien überall so. Und wenn ein Beamter sich einmal in etwas verbeisse, lasse ihn der Apparat nicht im Stich. Egal, wie absurd das Manöver auch sei.

Dann musste G. los. Zum Flughafen. Zum Polizeiarrest. Um zu versuchen, den Mann aus Birmingham (oder London - das war dann nicht so sicher, aber darum ging es nicht) zu befreien. Der britische Staatsbürger war nämlich nach Schengenland eingereist. Von London (oder Birmingham) aus. Ohne Visum.

Schubhaft

Weil das einem aufmerksamen Bundesgrenzschützer aufgefallen war, saß der Brite nun im Polizeiarrest. Und G., der als Pressesprecher einer in Köln ansässigen Billigairline sozusagen unser Gastgeber war, versuchte nun, seinen Gast vor der Abschiebung zu bewahren. Vergeblich. G. übte sich dann in nationaler Schadensbegrenzung: nicht alle deutschen Beamten, sagte er, wären so. So etwas, könne doch wirklich überall passieren.

Die Sache, erklärte G., als er Donnerstagnachmittag nach zähen, mehrstündigen Verhandlungen zurückkehrte, war folgende: der Brite war Brite. Geboren, aufgewachsen und wohnhaft in London. Oder Birmingham. Also in jedem Fall in England. Daran zweifelte niemand. Nicht einmal die Schützer der Schengengrenzen. Auch sein Pass war in Ordnung: Der Brite war ein ordentliche Bürger ihrer Majestät der Königin. Das stand jedenfalls in seinem Pass.

St. Helena

Bloß hat das britische Empire eine Nebenerscheinung: Es reicht über Schengenland hinaus. Und der Pass des Briten war auf St. Helena ausgestellt worden. Einem Teil des Commonwealth, der nicht in Europa liegt. Was, dachte sich der Brite angesichts seiner Nationalität, aber eigentlich wurscht sein müsste.

Genauer: Bis er am Freitag in der Früh in Köln festgenommen wurde, hatte er sich darüber nie den Funken eines Gedanken gemacht. Genau so wenig wie all jene Grenzbeamten, die ihn in den letzten Jahren unbeanstandet in Spanien, Frankreich, Österreich, den Niederlanden und Deutschland einreisen lassen hatten. Und zwar, erzählte der Brite G. als dieser ihn in der Zelle besuchen durfte, unabhängig davon, von wo aus – aus Schengenland, aus St. Helena oder aus dem Rest der Welt – er nach wohin einreiste.

Nicht zuständig

Diesmal aber geriet er an den falschen Grenzer. Und der schloss messerscharf, dass ein Pass aus St. Helena seinen Besitzer dazu verpflichte, sich vor der Einreise nach Europa um ein Visum zu kümmern. Für die Frage, wo ein Brite in London (oder Birmingham) ebenjenes beantragen solle, erklärte der Mann sich nicht zuständig – legte dem etwas verdutzten Engländer Handschellen an, führte ihn ab und eröffnete ihm , dass er mit der nächsten Maschine abgeschoben würde. Nach England.

G. versuchte alles: Flehen, Schimpfen, Drohen – nichts half. Man sei sich, erzählte G. später, beim Grenzschutz der Absurdität der Angelegenheit durchaus bewusst gewesen, habe aber bedauert. Recht sei eben Recht: Der Brite würde nicht nur abgeschoben werden, sondern bekäme auch ein Verfahren, eine Strafanzeige und eventuell sogar ein Aufenthaltsverbot. Und sollte sich eruieren lassen, welche Grenzbeamten an welchen Grenzen ihn anstandslos passieren lassen hatten, könne das auch für sie Folgen haben.

Schlepper

Immerhin durfte G. den Briten in der Zelle besuchen. Und ihm etwas zu Naschen vorbei bringen. Der Brite hätte, sagte G. später, sich in der Zwischenzeit auch seine Gedanken gemacht. Und gefragt, Ob nicht G. – also dessen Arbeitgeber – sich der Schlepperei schuldig gemacht hätte: Schließlich sei er doch erst auf Einladung der Fluglinie in den Flieger gestiegen. Und seil illegal von Europa nach Europa gereist.