Wien - Große Persönlichkeiten beschenken sich zu festlichen Gelegenheiten gern mit Großem: Durfte es in früheren Zeiten gern mal ein Schlösschen sein, das man sich errichten ließ, oder ein Erdteil, den man sich untertan machte, so ließ Sir Simon Rattle, der dirigentische Sonnenkönig unserer Zeit, anlässlich seines fünfzigsten Wiegenfestes zwei der renommiertesten Klangkörper miteinander verschmelzen: jene der Berliner und der Wiener Philharmoniker.

Doch der erstmals Anfang April in Berlin und diesen Sonntag nun auch in Wien getätigte gemeinschaftliche musikalische Akt erwies sich als Unternehmung von künstlerischem Nullwert; der einzige Nutzen der Paarung blieb ein medizinischer: nämlich jener, das Trommelfell auf seine äußerste Belastbarkeit zu testen.

Wie schade, dass die Wiener Stadthalle derzeit durch die Eishockey-WM belegt wird: Sie wäre die geeignetere Spielstätte für Rattles gigantomanisches Projekt gewesen, und dem Wiener Konzerthaus wäre es erspart geblieben, durch das Renommierprojekt "Hölle viel Geld" (Christoph Lieben-Seutter) zu verlieren.

Denn der Chefdirigent der Berliner reduzierte Mahlers sechste Symphonie zur geistlosen Remmidemmi-Show, zum inflationären Dezibel-Spektakel, gab mit Aplomb falsche Einsätze und frönte seiner privaten Manie, jeden, aber auch wirklich jeden Akzent zum gellenden Fortissimo-Schrei aufzufrisieren.

Bei Ralph Vaughan Willams' weit gespannter, balsamischer "Tallis-Fantasie" immerhin ließ der Strahlemann das (nur bedingt präzise manövrierfähige) "berwienerische" Musikergroßkollektiv aufzeigen, wozu es fähig sein könnte: zu einem unerhört warmen, satten und nobel konturierten Streicherklang etwa.

Rattle kann natürlich auch anders. Zwar ist in seiner kontrastorientierten Ästhetik zwischen "leichtem" und "schwerem" Spiel auch bei Beethovens 4. Symphonie zu Beginn etwas viel unkoordinierte Lautstärke zugegen. In Summe durfte man jedoch bei dieser zwei Sätze lang durchaus langsam vollzogenen und im dritten Satz dann forsch beschleunigten Beethoven-Performance das Berliner Wunder eines wachen, bewussten, unheimlich präsenten kollektiven Tons erleben, der im Sanften seidenpapierartig anmutet und im Drängenden durch Kompaktheit beeindruckt. Es war dies ein Beethoven der Extreme.

Zwischen romantischem Schwärmen und Dramatik vermittelte ein unheimliches technisches Instrumentalniveau, das sich bei diesem freitägigen Berliner Konzerthausdebüt, mit dem das Musikfest der Wiener Festwochen begann, schließlich in einer frapanten Fülle an Farben materialisierte, als es galt, Strawinskis Feuervogel zum Leben zu erwecken. Detailverliebtheit kümmerte sich um Transparenz der Struktur, Rattles Impulsivität um die Aura des Werkes. Exzellent. (end, tos/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9. 5. 2005)