Der "Platz der Märtyrer" in Beirut glich einem Fahnenmeer. Vor allem junge Menschen schwenkten die orangefarbenen Fahnen von Aouns christlicher Patriotischer Bewegung und die rot-weiß-rote Libanon-Flagge mit der grünen Zeder. Viele bildeten mit den Fingern das "V" (Victory)-Zeichen. Aoun ist zurück, nur wenige Tage, nachdem der letzte syrische Soldat das Land verlassen hat. Der Abzug Syriens, für den Aoun als General und Chef einer Militärregierung 1988/89 gekämpft hatte, macht ihn für seine Anhänger zum "Befreier des Libanon".
"Wie ein Tsunami"
Seine Widersacher dagegen werfen Aoun vor, den Rückzug der syrischen Armee für sich zu beanspruchen. "Die Ermordung Hariris hat den syrischen Rückzug gesichert, nicht der Mann, der an diesem Nachmittag wie ein Tsunami über uns kommt", wetterte der drusische Oppositionspolitiker Walid Joumblat. Aoun und Joumblat hatten im libanesischen Bürgerkrieg (1975 bis 1990) gegeneinander gekämpft. Vor kurzem trafen sich die beiden langjährigen Widersacher in Paris, um über die Zukunft des Libanon zu beraten - anscheinend ohne große Übereinstimmung.
Der maronitische Christ Aoun, der aus bescheidenen Verhältnissen stammt, war 1984 unter Präsident Amin Gemayel mit 49 Jahren der jüngste Oberkommandierende der libanesischen Streitkräfte geworden. Zuvor hatte er eine militärische Ausbildung in Frankreich und den USA genossen. 1988 wurde er von Gemayel zum Übergangs-Ministerpräsidenten ernannt, obwohl der Premier im Libanon nach den Bestimmungen des "Nationalpakts" sunnitischer Moslem zu sein hat. 1989 weigerte er sich, die vom Parlament gewählten Nachfolger Gemayels - René Moawad (der 17 Tage nach seinem Amtsantritt ermordet wurde) und Elias Hraoui - anzuerkennen, und begann einen blutigen "Befreiungskrieg" gegen Syrien.
1990 wurde Aoun von den Syrern und den pro-syrischen Regierungstruppen unter dem Kommando des jetzigen Präsidenten Emile Lahoud niedergerungen und flüchtete in die französische Botschaft in Beirut. Französische Geheimagenten brachten ihn nach Paris ins Exil, aus dem er jetzt zurückkehrte. Die libanesische Justiz hatte den Weg dafür freigemacht, indem sie Anfang Mai mehrere Anklagen gegen Aoun aufhob.