London - Tony Blair (53) hat am Donnerstag in zweifachem Sinn Geschichte geschrieben. Er ist nicht nur der erste Labour-Regierungschef, der drei Unterhauswahlen in Folge gewonnen hat, dies ist ihm auch mit einem so geringen Stimmenanteil wie nie zuvor in der Geschichte des britischen Parlamentarismus gelungen.

Die Labour Party kam diesmal nämlich nur auf etwas mehr als 36 Prozent der Stimmen. Wegen des britischen Mehrheitswahlrechts - in jedem Wahlkreis wird der Kandidat mit der relativen Mehrheit gewählt - reicht dies dennoch für eine komfortable absolute Mehrheit von 353 der 646 Sitze im Unterhaus (24 Mandate waren am Freitag noch nicht vergeben). Ein Grund für dieses paradoxe Ergebnis ist auch das starke Abschneiden der Liberaldemokraten, die landesweit 22,6 Prozent der Stimmen erreichten, aber nur etwas mehr als 60 der 646 Mandate.

Blair sank damit sogar hinter das Resultat der Labour-Regierung unter Harold Wilson im Februar 1974 zurück, die damals auf 37,2 Prozent der Stimmen kam. Damals hatte Labour sogar weniger Stimmen als die Konservativen erreicht, aber mehr Mandate.

Obwohl das Mehrheitswahlrecht als Grundbestandteil des britischen politischen Systems gilt, wird es nun in der Öffentlichkeit immer stärker kritisiert. Schließlich kamen Konservative und Liberaldemokraten diesmal auf eine absolute Mehrheit von 55 Prozent der Stimmen, von der sie im Unterhaus weit entfernt sind.

Die Wirtschaftszeitung "Financial Times" sprach sogar von einer "Wahl-Parodie". Sie wies darauf hin, dass die Konservativen fünf Prozentpunkte mehr als Labour hätten bekommen müssen, um eine Mehrheit der Mandate im Unterhaus zu gewinnen. Der Rückstand von drei Prozentpunkten auf Labour (36 zu 33 Prozent) schlägt sich im Unterhaus mit gleich 160 Mandaten weniger für die Konservativen nieder, die auf 196 Sitze kommen.

Die Ironie der Geschichte: Die Labour Party hatte jahrzehntelang für eine Abschaffung des Mehrheitswahlrechts gekämpft und vor dem Wahlsieg 1997 auch ein Referendum über die Einführung des Verhältniswahlrechts versprochen. Die Konservativen hatten sich immer vehement gegen solche Vorschläge gewehrt, von denen Blair aber selbst diskret Abstand genommen hat. Lediglich für die Regionalparlamente von Schottland und Wales sowie die Europawahlen ist unter Labour eine Variante des Verhältniswahlrechts beschlossen worden. (APA/AFP)