Der Wiener Verfassungsjurist Heinz Mayer glaubt nicht, dass der Kompromiss zur Schulreform die Einführung der Gesamtschule ermöglichen wird. Zwar verweist Mayer darauf, dass die Kompromissformel von der "angemessenen Differenzierung" der Sekundarschule viel Interpretationsspielraum lasse. Er geht allerdings davon aus, dass der Verfassungsgerichtshof (VfGH) diese Passage als Festschreibung von Hauptschule und Gymnasium interpretieren wird.

Neuer Verfassungs-Artikel

Gemäß der am Mittwochabend erzielten Einigung zwischen ÖVP, SPÖ und BZÖ soll die verpflichtende Trennung der Sekundarschule in Hauptschule und Gymnasium aus der Verfassung gestrichen werden. Stattdessen soll ein neuer Artikel 14 Abs. 6a die Verpflichtung zur "angemessenen Differenzierung" der Sekundarschule festschreiben. Die SPÖ glaubt, diese Verpflichtung auch mit einer "inneren Differenzierung" im Rahmen einer Gesamtschule erfüllen zu können.

Mayer meint zwar, die entscheidende Passage sei "so unbestimmt, dass man beinahe jede Meinung vertreten kann". Aber, so Mayer: "Meiner Einschätzung nach wird der Abs. 6a so gelesen werden, dass er das bestehende System festschreibt." Die bloß "innere Differenzierung" einer Gesamtschule werde nicht ausreichen, "weil nichts darauf hindeutet, dass der Verfassungsgesetzgeber das so wollte".

Versteinerte Regelung

Laut Mayer müsste nun beispielsweise in den Erläuterungen zur Verfassungsänderung eine Klarstellung erfolgen, dass damit tatsächlich eine Flexibilisierung der Schulorganisation geplant sei. "Wenn man das nicht tut - wenn es beim nackten Wortlaut bleibt - würde ich davon ausgehen, dass die Verfassungsrichter das als versteinert ansehen."

Mit der Vorgehensweise von ÖVP und SPÖ in dieser Frage kann Mayer nichts anfangen: "Das ist in Wahrheit ein Wahnsinn, dass man die schwierigste und umstrittenste Frage einem Gericht überträgt." (APA)