Claire Denis, der das Österreichische Filmmuseum gegenwärtig eine Retrospektive widmet, die um ihr wichtige Filme ergänzt wird, ist eine jener wenigen Filmemacherinnen, die diese Forderung nach einem Kino der Körper einlöst.
Denis und ihre kongeniale Kamerafrau Agnès Godard - eine ihrer Langzeitpartnerinnen - suchen keine Repräsentationen, die auf Wiedererkennbarkeit aus sind.
Sehen wird in Denis' Filmen vielmehr beständig problematisiert: "Das Bild selbst bricht auf. (. . .) Es ist materiell, visuell dabei, sich zu zermalmen, sich zu zerhacken auf der Leinwand", schreibt der französische Philosoph Jean-Luc Nancy über Denis' Vampirfilm "Trouble Every Day" in dem soeben erschienenen, ersten deutschsprachigen Buch über die Regisseurin (hg. v. Isabella Reicher und Michael Omasta).
"L'Intrus", ihr jüngster Spielfilm, führt diese Tendenz fort. Die Aufnahmen tasten sich an die Dingwelt heran, gleiten an ihren Texturen entlang und boykottieren dabei zunehmend erzählerische Konventionen, um sich traumähnlichen Bewusstseinszuständen anzunähern, in denen Wahrnehmungsweisen an kein Subjekt mehr gebunden sind.
Angeregt durch einen Text Nancys, in dem dieser über seine Herztransplantation reflektiert, erzählt der Film von einem mysteriösen Mann (Michel Subor), der sich ein kräftigeres Herz beschaffen will. Von den Jura-Bergen führt "L'Intrus" in balladesker Form ins koreanische Pusan und weiter in die Südsee, angedeutete Abenteuergeschichte und Reflexion über innere und äußere Grenzen in einem.
Fremd und brüchig
Vielfältige Referenzen finden sich wieder, die Denis jedoch ihrer Vision unterordnet und überschreibt: "Tabu" von Murnau und Flaherty, Anleihen an Robert L. Stevenson treffen auf Ausschnitte aus Paul Gégauffs 1965 gedrehten Film "Le Reflux", in dem auch Subor bereits mitwirkte.
"L'Intrus" entfernt sich von jeder Form narrativer Geschlossenheit, umso mehr tauchen hier Themen auf, die viele Arbeiten Denis' prägen. Die Überwindung nationaler, kultureller oder sexueller Ordnungen, die Auswirkungen eines fremden Umlands auf Identitäten oder brüchige familiäre Zusammenhänge - solche Topoi ziehen sich durch ihr ganzes Werk, ohne dass ihre Filme ein dezidiert politisches Anliegen hätten.
"Untauglich für das zivile Leben", sei er, sagt die Off-Erzählstimme des Fremdenlegionärs Galoup (Denis Lavant) in "Beau Travail", der lose auf Herman Melvilles Novelle "Billy Budd" basiert. Seine Eifersucht gegenüber dem Neuling Sentain (Grégoire Colin) wird aber nicht als psychologisches Drama übersetzt, sondern entfaltet sich über Blickverhältnisse, in die jene der Macht eingeschrieben sind. Die Dynamik aus Begehren und Unterdrückung wird hier neuerlich am Körper manifest. Wobei das physische Spektakel der permanenten Ertüchtigung in den kargen Landschaften um Dschibuti eigentümlich deplatziert erscheint.
Denis' Faszination für Afrika und die Auswirkungen des Kolonialismus ist biografisch bedingt. 1948 als Tochter eines Kolonialbeamten geboren wuchs sie in Westafrika auf. Ihr erster Spielfilm, "Chocolat", nimmt darauf direkt Bezug und erzählt von dem Mädchen France, das in den 50er-Jahren auf einer Ranch in Afrika lebt. Der Film nimmt sich ihrer Perspektive an und zeigt deren Grenzen auf. France findet im schwarzen Diener Protée (Isaach de Bankolé) einen Verbündeten, einen Komplizen ihrer meist stummen Wahrnehmung, die zur Welt der Erwachsenen Distanz wahrt.
Schon mit Denis nächstem Film "S'en fout la mort" radikalisiert sich ihr Stil. War "Chocolat" noch von Plansequenzen bestimmt, wird die Kamera in diesem Neo-Noir um zwei Afrikaner, die sich als Hahnenkämpfer verdingen, ruheloser und die Montage elliptischer.