Familie Fairbairn im Garten des Eigenheims im Südwesten Londons: niedrige Zinsen als Sicherheit.

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Als Tony Blair im Mai 1997 in Downing Street Nr. 10 einzog, war Boyd Fairbairn zufrieden: endlich ein frisches Gesicht nach dem grauen John Major. Sally Cooper dachte das Gleiche. "Blair wirkte damals noch nicht so poliert, ich fand ihn sympathisch."

Vier Monate später, nach dem tragischen Tod von Prinzessin Diana, hält er die beste Rede seiner Karriere, spricht einfühlsam von der "People's Princess". Nach Sallys Geschmack ist er da schon viel zu perfekt. Seither hat sie den Gefallen an Tony Superstar verloren, jedes Jahr ein bisschen mehr. Heute geht ihr seine selbstgefällige Art nur noch auf die Nerven.

Zurück ins Jahr '97. Im Herbst lernen Sally und Boyd einander kennen, in einem Pub in Soho. Sie ist 30, er 34. Im Juni 2001, als Labour seinen zweiten hohen Wahlsieg einfährt, sind sie ein Ehepaar. "Viel hat Blair nicht erreicht, aber gib ihm noch eine Chance, vier Jahre sind einfach zu kurz", lautet ihre Devise.

Und es gibt wichtigere Dinge im Leben. Wie zum Beispiel schafft man das Kunststück, in Europas teuerster Stadt eine Bleibe zu finden, die groß genug ist für eine junge Familie und zugleich bezahlbar? Briten mieten nicht, sie kaufen, wenn es irgendwie geht.

Zum Glück hatten Sally und Boyd ihre Hausbesitzer-Karrieren, die im Idealfall von der billigsten Bruchbude zur Villa im Grünen führt, schon solo begonnen. Beide brachten kleine Wohnungen mit in die Ehe, beide verkauften mit gutem Gewinn. Das Plus reicht, um ein Fünfzimmer-Häuschen in New Malden zu beziehen, finanziert durch Eigenkapital und einen sechsstelligen Kredit. Im Sommer 2002 ziehen sie um. Joe, der Erstgeborene, ist drei, Töchterchen Tess ein winziges Baby.

Ein grünes Viertel mit guten Schulen und einer Geschäftsstraße, das ist New Malden, ein Viertel im Südwesten der Metropole. Hier wohnt Middle England, die Neue Mitte, New Labours Hausmacht.

Acht Jahre Blair, für die Fairbairns heißt das: niedrige Zinsen, die Gewissheit, die Hypothek tilgen zu können, das Haus nicht zu verlieren. Für Middle England gelten günstige Zinsen als Markenzeichen der Ära Blair. Als noch die Tories am Ruder waren, kletterten sie auf 15 Prozent. Für die Nation des "My home is my castle" war es ein Albtraum, bis heute ist es ein starkes Argument pro Labour.

Und der Job? Sally wechselte als Buchhalterin in 15 Jahren fünfmal die Firma, jetzt lernt sie die Zeichensprache, um für Gehörlose zu übersetzen. Boyd, der Datenbanken vernetzt, hat auch schon für fünf Unternehmen gearbeitet. Beide empfinden das als völlig normal: Wechsel als Chance.

Teure Kinderkrippe

Als Sally noch ganztags Zahlenkolonnen studierte, schickte sie Joe in eine Kinderkrippe, drei Tage die Woche. Dafür musste sie monatlich 1040 Euro zahlen, zwei Drittel ihres Gehalts. Auch noch Tess betreuen zu lassen, wäre zu teuer gewesen. Jetzt gehen Sohn und Tochter täglich drei Stunden in einen Hort.

Dann das National Health Service, der staatliche Gesundheitsdienst. Der praktische Arzt, dem die Fairbairns gemäß ihrer Adresse zugeteilt sind, hat zu viele Patienten und zu wenig Zeit. "Wenn's was Akutes ist, geht's", sagt Sally. "Es sind die Routinesachen, bei denen es hapert."

Da war das Malheur mit Boyds Nierensteinen. Im Spital musste er ewig warten, ehe er schmerzstillende Medikamente bekam. Ein Nachbar stimmt in den Klagechor ein. Seine Frau hatte Schmerzen im Unterleib, beim NHS setzte man sie auf eine lange Warteliste, in ihrer Not wandte sie sich an ein privates Spital. Allein die Diagnose kostete 2600 Euro, an die Rechnung für die fällige Operation wagt der Installateur gar nicht zu denken.

Der klapprige Gesundheitsdienst ist das ewige Sorgenkind der Briten. Blair pumpte Milliarden hinein, es geht aufwärts, aber quälend langsam. "Könnte alles viel schlechter sein", meint Boyd trocken.

Und der Irakkrieg? "Na ja, ein zweites Mal wird er uns nicht in so einen windigen Krieg führen, ich glaube, er hat seine Lektion gelernt", sagt Boyd Fairbairn, dann zitiert er den Spruch "Better the devil you know ..." Besser, man wählt den Teufel, den man schon kennt, nicht den unbekannten. "Blair ist das kleinere Übel. Dafür kriegt er meine Stimme noch einmal." (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 3.5.2005)