Foto: Taschen Verlag

Hunter S. Thompson & Ralph Steadman:
The Curse of Lono
Von den Beitragenden signiert, im Schuber, begrenzte Auflage von 1000 Stück. € 250/202 Seiten. Taschen, Köln 2005. Erhältlich in ausgewählten Buchhandlungen und im Netz.

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I. Der große Gott Lono, das wusste schon Mark Twain zu berichten, wird von den Bewohnern der Inseln Hawaiis seit ewig verehrt. Angeblich war er ein König, der nach einem ausschweifenden Leben verschwand und seither, vergöttert, zurückerwartet wird. Als Captain Cook 1779 anlegte, vermeinten die Hawaiianer bereits, ihn vor sich zu haben. 1980 kam Hunter S. Thompson auf die Inseln. Diesmal kümmerte sich niemand um den Fremden. Das war vielleicht ein Fehler.

Thompson flog im Auftrag des Magazins Running ein, um über den Honolulu-Marathon zu berichten. Die Zeitschrift konnte davon ausgehen, dass sie nicht nur eine brave Reportage über das Ereignis bekommen würde. Ihre Erwartungen wurden erfüllt, schließlich war ihr Reporter bereits seit mehr als einem Jahrzehnt bekannt und auch bei Gerichten notorisch.

Mit seinem Bericht über die Hell's Angels (1967) und über Angst und Schrecken in Las Vegas (1971) hatte er seinen Ruf als wilder Mann des Journalismus begründet und mit dem Etikett "Gonzo" versehen ("Keiner weiß, was es heißt, aber es klingt wie eine Beschimpfung"). Beim Rolling Stone für Außenpolitik und "Gärtnerei" zuständig, perfektionierte er seine Technik, genaue Beobachtungen mit wuchernden Assoziationen zu kombinieren. Die Ergebnisse waren neojournalistische Gewaltmärsche, wie sie kaum sonst jemand fertig brachte. Thompson vereinigte in sich zwei uramerikanisch libertäre Forderungen aus unterschiedlichen Lagern: das Recht auf Drogen und das Recht auf Waffenbesitz - beides nahm er auf seiner Ranch in Colorado heftig in Anspruch. Schwer krank und deprimiert über den Weg, den Amerika einschlägt, erschoss Thompson sich am 20. Februar. Kurz zuvor hatte er eine De-luxe-Neuausgabe seiner Hawaii-Reportage signiert.

Sie beginnt mit Drogen, noch bevor sein Flugzeug auf der Insel Oahu landet. Im Schlepptau hat Thompson seinen Freund Ralph Steadman, den englischen Zeichner, der schon seine ersten großen Erfolge kongenial illustriert hat, mit seiner Familie. Thompson selbst ist auch in Begleitung, doch die ist als namenlose "fiancé" mehr ab- als anwesend - ostentativer Machismo gehörte immer schon zur Marke Thompson.

Was soll er hier? Ach ja, über den Marathon berichten. Von Anfang an macht der Icherzähler klar, dass er dieser lästigen Pflicht nur nebensächlich nachkommen wird. Viel mehr interessieren ihn Stimulantien aller Art, die er im wachsenden Kreis Gleichgesinnter zu sich nimmt. So erlebt er den Lauf bereits in stark benebeltem Zustand auf einer Terrasse, von der aus er die 8000 Läufer verhöhnt.

Immerhin gelingt ihm hier noch die luzideste und nüchternste Passage des Buches, über die "doomed generation", die in die Jahre gekommenen Sixties-Kinder, die die "neue Ethik" des Laufens entdeckt haben; etwas, das ihm fremd ist, das er aber mit staunendem Einfühlungsvermögen zur Kenntnis nimmt: "Run for your life, sports, because that's all you have left."

Danach geht's bergab. Am Strand der benachbarten Insel Hawaii finden Hunter S. und der immer verzweifeltere Ralph nicht Sonne und Ruhe, sondern Wolkenbrüche, Katzenjammer, räuberische Eingeborene und Trost bei nie endenden Vorräten an Alkohol und Marihuana. Des langsamen Verfalls kurzer Sinn: Die Steadmans fliehen, Thompson bleibt noch ein halbes Jahr auf der Insel und steigert sich in ein Delirium hinein, an dessen Endpunkt er glaubt, selbst Lono zu sein. Margarita-geschädigt sieht er dem Fluch des Gottes ins Auge. Drei Jahre später erscheint The Curse of Lono. Selbst wenn nur zehn Prozent stimmen, dann ist es bereits ein ganz außerordentlicher Akt der Selbstzerstörung, den Thompson hier zu Markte trägt.

II.Einen verschreckten samoanischen Barkeeper auf Hawaii beruhigt Thompson mit der Mitteilung, er sei selbst einmal der Gouverneur von US-Samoa gewesen. Da liegt der Schlüssel für eine kuriose Parallelgeschichte: Im amerikanischen Polit-Strip Doonesbury wurde ein gewisser Duke kurz nach Erscheinen von The Curse of Lono Gouverneur von Samoa und führte sich dort auf wie Thompson im Buch. Das war kein Zufall: Doonesbury-Zeichner G. B. Trudeau hatte Duke bereits nach Thompson modelliert: hohe Stirn, Ray-Bans, Zigarettenspitz, Vorliebe für Waffen und Drogen. Es war den amerikanischen Lesern offensichtlich, wen sie da vor sich hatten. Zusätzlich war (und ist) der Cartoon-Charakter ein faschistoider Waffenschmuggler, Warlord und Steuerbetrüger. Thompson war nicht amüsiert.

Sein Tod hatte ein zeichnerisches Nachspiel. Als die Nachricht die Runde machte, erschien ein Strip mit Duke, der gerade krumme Geschäfte im Irak einfädelt. Im dritten Bild plötzlich ein Flash: Duke ganz im Stil von Thompson, wie ihn Ralph Steadman für das Buch porträtiert hat. Was ist los?! "Eine böse Verschiebung von Karma", sagt Duke ahnungsvoll. Und in den folgenden Strips explodiert ihm beim Lesen der Todesmeldung der Schädel: Trudeaus Tribut an einen extremen Kollegen.
III."Gonzo gone", schreibt der Kolumnist Frank Rich in der New York Times. Gegangen ist jemand, der der amerikanischen Medienkultur auf den Zahn gefühlt hat wie wenige andere. Thompson hat Angst und Schrecken nicht nur in Las Vegas, sondern auch im Nixon-Wahlkampf geortet, angesichts einer unkritischen Journalisten-Entourage. Er hat Regeln gebrochen, er war, so Rich, ein Blogger, bevor es so etwas gab. Zurück bleibt ein Vakuum, oder eine Riege gut bezahlter Gefälligkeitsjournalisten im Dunstkreis des Weißen Hauses.

Lono ist nicht Thompsons bestes Buch, doch es vermittelt etwas von dem Wahnsinn, den Thompson in sich trug und der ihn rebellieren ließ; dick aufgetragen, übertrieben, keinesfalls im Einverständnis mit den bestehenden Verhältnissen. Taschen Verlag bringt es neu heraus, Steadmans Zeichnungen werden durch das Großformat noch brillanter. Die limitierte Neuauflage ist nicht billig. Aber die Originalausgabe, seinerzeit um 9,95 US-$ erhältlich, ist längst vergriffen und gebraucht bei Amazon auch nicht unter 115 $ zu bekommen. Ohne Autogramme der beiden Hauptleidtragenden. (ALBUM/ DER STANDARD, Printausgabe, 30.04./01.05.2005)