Lettland 8,5, Polen 5,4, Slowenien 4,0 - im wirtschaftlichen Song-Contest hat das neue Europa mit insgesamt fünf Prozent BIP-Wachstum (gegenüber 3,7) die Nase vorn. Sinkende Arbeitslosenraten, reichhaltige Warenangebote in neuen Hypermärkten, Lohn- und Steuervorteile ziehen Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Know-how an - um 25 Prozent auf knapp 13 Milliarden Euro sind sie allein in Polen gestiegen.

Ein Jahr nach der Erweiterung steht dem osteuropäischen Frühling in puncto Zuversicht und Reformgeist ein eisiger Winter im Westen gegenüber: Frankreichs "Non" zur EU-Verfassung, die "Aufweichung" der Dienstleistungsdirektive, Deutschlands Entsendegesetz- und Kapitalismusdebatten sind klare Zeichen einer "Entschleunigung" des Liberalisierungs- und Einigungsprozesses. Nicht nur in der EU wird um die nächsten Schritte gerungen. Ob BA-CA oder IBM, die Unternehmen müssen ihre Aufstellung für ein sich veränderndes Europa überprüfen:

1. De-Zentral gewinnt: Erfolgreich hat sich Österreich als "Drehscheibe" und idealer Standort für Osteuropazentralen etabliert: nahe am Markt, kulturell ähnlich, mit hochwertigem Dienstleistungsangebot wie Rechtsberatung oder IT. Je rascher die Reformen greifen, desto eher werden aus ehemals Unbekannten "normale Nachbarn" - die durch mehr Leistung und Wertschöpfungstätigkeit in Konkurrenz treten. Die selbstbewussten "Ost-Tiger" wollen nicht mehr von zentralen Steuerungsinstanzen mit Weisungs-und Kontrollrechten geführt, sondern als Teil eines "Kompetenznetzwerkes" spezialisierte Aufgaben übernehmen: Was von den früheren Osteuropazentralen bleibt, sind schlanke, teils virtualisierte Leitstellen mit hoch spezialisierten Unternehmenseinheiten.

2. Kompetenz und "kluge Köpfe" gewinnen: Ob es gelingt, sich durch Spezialisierung zu etablieren, hängt von qualifizierten Führungs-und Nachwuchskräften ab. Neben "harten" Fakten wie Logistik-Infrastruktur, Arbeitszeitflexibilisierung und steuerlichen Rahmenbedingungen zählen vor allem "weiche": Lebensqualität, Kulturangebot und persönliche Sicherheit. Hier hat Österreich eine im weltweiten Vergleich sehr starke Position: Rang zwei bei Lebensqualität (nach Australien), Rang drei bei der Verfügbarkeit von Spitzenkräften, Rang zwei bei deren internationaler Glaubwürdigkeit. Topleute aus den Wachstumsländern müssen früh gewonnen werden, vor allem durch Bildungskooperationen. Das Symposium "Zentral- und Osteuropa" der Uni Wien oder der Studiengang "Erneuerbare Energie in Mittel- und Osteuropa" in Bruck sind nur kleine erste Schritte.

3. Reformgeist gewinnt: Wir erfreuen uns einer Zunahme des Waren- und Dienstleistungsaustausches - vor allem dank der Reformleidenschaft in diesen Ländern. Wie wäre es aber mit einem stärkeren "Mentalitätsaustausch"? Nicht nur in puncto EU-Skepsis: Von der Kreativität, Dynamik und Offenheit der jungen EU-Länder könnten die Alt-Europäer stark profitieren. Rasante Verbesserungen widerlegen, dass Reformen viel Zeit brauchen: Innerhalb von drei Jahren verbesserten sich Polens Schüler in der PISA-Studie von Platz 25 auf 16 der Lesekompetenz (vor Frankreich, Deutschland und Österreich) aufgrund von konsequenten Schulprojekten.

Experimente, über die seit Jahrzehnten bei uns debattiert wird, werden eingegangen. Beispiel Flat Tax: Mit einheitlich niedrigen Steuersätzen zwischen 14 und 20 Prozent tritt das ein, was Milton Friedman voraussagte: nicht sinkende, sondern wachsende Steuereinnahmen - in der Slowakei 2004 um zwei bis drei Prozent.

Es wird deutlich, dass das neue Europa mehr beiträgt als nur Exportmärkte. Es bietet einen kreativen Raum zur Verwirklichung vielfältiger Wege - und fordert uns auf zu mutigeren Visionen und weit reichenden Strukturreformen.