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Das Papstamt, ein "klassischer Pensionisten-Job": Die Kirche zeigt Organisatio-nen, wie die Erfahrung des Alters genutzt werden kann.

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Wien - In den Tagen nach dem Tod von Johannes Paul II. waren die Zeitungen voll mit Übersichten, welche Kardinäle als "papabile" galten - als Chef der weltweit größten Organisation, der römisch-katholischen Kirche, infrage kamen. Bei allen, die nicht wenigstens Mitte 60 waren, stand als größter "Nachteil" jeweils: "zu jung". So auch bei dem 60-jährigen Wiener Erzbischof Kardinal Christoph Schönborn. Und tatsächlich: Das Rennen machte Kardinal Joseph Ratzinger, der wenige Tage vor der Wahl 78 wurde.

"Es sind immer Kontrapunkte, die faszinieren", sieht der Wiener Konfliktforscher und Religionsphilosoph Gerhard Schwarz ("Was Jesus wirklich sagte") den Grund, warum eine breite Öffentlichkeit diesen Besetzungsvorgang an der Kirchenspitze mit Faszination verfolgte. In seinem Buch "Die heilige Ordnung der Männer", das dem Wesen von Hierarchien und Gruppendynamik in Organisationen nachgeht, beschreibt Schwarz vier archetypische Gegensätze der Menschheit: den Kontrapunkt zwischen tot und lebendig, zwischen alt und jung, zwischen Individuum und Gruppe, und zwischen Mann und Frau.

Pensionisten haben in der Kirche die Macht

Während sie bei manchem - vor allem bei Mann und Frau - "nichts am Hut hat, ist die Kirche bei alt-jung gut drauf", sagt Schwarz. Ganz anders als in der Arbeitswelt, in der fast nur noch Jugend zähle, sei das Papstamt "ein klassischer Pensionistenjob. Pensionisten haben in der Kirche die Macht und zeigen, was sie können" - dieser Gegensatz zum Erleben eines Alltags, im dem schon die "Generation 50 plus" als überaltet gilt, zieht an.

"Zu den Fehlentwicklungen des Kapitalismus gehört bestimmt die Zeitbeschleunigung, alles gleichzeitig machen zu wollen, die Idee, dass Junge in allen Punkten besser sind als die Alten. Das führt in vielen Unternehmen zu einem Traditionsverlust: Man haut die Leute raus, und ihr Wissen geht verloren", sagt Schwarz. Etwa in Banken die Erfahrung, wem man welche Kredite geben darf; oder im Marketing die Erfahrung, die aus Konzeption und Umsetzung vieler Kampagnen kommt.

"Einer der großen Irrtümer unserer Zeit"

Dieser Verlust an Erfahrung durch die Konzentration auf die Jungen "ist einer der großen Irrtümer unserer Zeit, die Kirche steuert hier dagegen", glaubt Schwarz, dass in diesem Bereich einiges zu lernen wäre. "Das Alter hat seinen Wert, weil man diese Erfahrungen als Individuum wie als Organisation nur mit dem Alter machen kann." Natürlich gebe es dabei auch Probleme, und die Kirche würde dabei immer wieder Jüngere frustrieren - "aber nur, weil man es blöd macht. Richtig gemacht ist es möglich, diese Erfahrung zu bewahren."

Auch der Bestellvorgang selbst sei wert, von Organisationen beachtet zu werden: "Der Heilige Geist ist in dem Verfahren das Interessanteste überhaupt", sagt er. Denn das bedeute, dass in einem demokratischen Verfahren - "Allerdings ist die Papstwahl das einzige in der Kirche" - "die Wahrheit im Konsens von selbstbestimmten Personen" gesucht werde. Das Konzept des "Heiligen Geists": der Augenblick, in dem Konsens zwischen selbstbestimmten Personen herrscht.

Für Personalberatung bedeute das: Ihre Aufgabe bestehe nicht darin, für andere den Richtigen zu finden, sondern "zu vermitteln, wie man dazu kommt, den Richtigen zu finden". Der verwendete Abstimmungsmodus - im Konklave eine Zweidrittelmehrheit - sei eine Frage der Gruppengröße: "Ab gewissen Gruppengrößen gibt es keinen hundertprozentigen Konsens mehr - das geht nur bis zehn, zwölf Personen." Und: "Vorstände, Aufsichtsräte haben diese Möglichkeit: Das ist ein großer europäischer Vorteil gegenüber dem CEO-Prinzip in den USA." (Der Standard, Printausgabe 23./24.04.2005)