Ein Zwerg mit heikler Lieferung: Nanofähren sollen Viren bei der Gentherapie ersetzen.

Foto: Thueringenkauf
Was wie Sciencefiction klingt, ist derzeit die alltägliche Realität internationaler Forschergruppen und vielleicht bald Routine in der Medizin. Man spricht von einer Revolution in kleinen Schritten.

----------------------------------

In den letzten Jahren ist die Gentherapie ein wichtiger Forschungsschwerpunkt in Biologie, Chemie und Medizin geworden. Erblich bedingten Krankheiten wie etwa Mucoviscidose (eine Stoffwechselerkrankung, die vor allem die Atmung belastet), sollen damit behoben werden. Im Zellkern defekte Gene werden durch gesunde DNA-Sequenzen ersetzt. Zur Einschleusung des Genmaterials in die Zellen (Transfektion) werden geeignete Transport-Systeme bzw. Methoden benötigt, die dort die Freisetzung der neu einzubauenden Gene gestatten. Viren gelten derzeit als besonders wirkungsvoll. Ihre Fähigkeit, Gewebe zu schädigen (Zytotoxizität), ist allerdings erheblich, ihre Isolierung sehr aufwändig. Die Lösung könnte in der Nanotechnologie liegen. Weltweit versuchen Forscher so genannte Nanofähren zu entwicklen, die die Arbeit der effizienten, aber ungeliebten Viren übernehmen könnten. So eine Nanofähre kann nämlich aufgrund ihrer minimalen Größe (Ein Nanometer = 10 Meter) sich relativ leicht den Weg durch den menschlichen Körper bahnen. "Sicher der größte Hoffnungsbereich in der Bionanotechnologie", meint Andreas Bernkop-Schnürch vom Institut für Pharmazie an der Uni Innsbruck. Nanopartikel können Arzneimittel binden oder umschließen und sie auf diese Weise getarnt in eine Zelle transportieren. Insbesondere bei polaren Arzneimitteln, also mit einer elektrischen Ladung versehenen Substanzen oder solchen, die aufgrund ihrer sperrigen Bauweise eine Zellmembran nicht passieren können, hat dieses Transportsystem besondere Vorteile. Mit der Möglichkeit, therapeutische Wirkstoffe direkt an ihr Ziel zu dirigieren und damit die Nebenwirkungen zu verringern, könnte die Nanomedizin die Lebensqualität vieler Patienten erheblich verbessern. Zielgewebe erreichen Derzeit gibt es viele Wirkstoffe, die trotz ihres hohen pharmakologischen Potenzials aufgrund dieser Probleme das Zielgewebe entweder gar nicht oder nur zu einem Bruchteil der verabreichten Menge erreichen und somit als Medikamente nicht zum Einsatz kommen können. Intelligente Drug-Delivery-Systeme, nach denen heute geforscht wird, sollen daher den Wirkstoff während des Transports zum Zielgewebe vor dessen Zersetzung schützen, sich passiv oder aktiv im Zielgewebe anreichern (drug targeting) und die Freigabe des Wirkstoffes mit einem kontrollierten Zeit-Dosis-Profil ermöglichen (controlled release). Ideen, die im Nano-Verbundprojekt Nano-Health, in Tirol vom Kompetenzzentrum HITT organisiert, verfolgt werden. Wirkstoffe gegen chronische Krankheiten sollen in Nanopartikel verpackt und zielgerichtet durch den Körper geschickt werden - ohne Injektionsgabe: Insulin für Diabetes, Human Growth Factor für Minderwuchs, Calcitonin für Osteoporose, das Vaso Intestinal Peptide (VIP) für Lungenhochdruck und Amyloid Beta-Peptide (ABP) für Alzheimer. Auch das gegen die Economy-Class-Trombose häufig gespritzte Heparin soll mittels Nanopartikel in den Körper gelangen können. Die Partikel sind vom Körper sehr leicht abbaubar. Am weitesten fortgeschritten ist die Forschung mit Heparin, Calcitonin und Insulin. Insulin etwa, ein Mittel, das man bisher spritzen musste, könnte man, wenn die Methode gelingt, schlucken. Es würde von den Partikeln geschützt im Magen nicht zersetzt werden und seine Wirkung erst im Darm entfalten. Derzeit arbeitet man noch an einer Erhöhung der so genannten Bioverfügbarkeit. Sie zeigt, wie viel Prozent des Wirkstoffs vom Körper aufgenommen werden. Derzeit ist man bei zwei bis fünf Prozent. Das bereits entwickelte Insulin zur Inhalation hat eine Bioverfügbarkeit von acht Prozent. Die Pharmaindustrie ist natürlich daran interessiert, dass so viel wie möglich vom Körper aufgenommen wird, weil andernfalls die Behandlung der Diabetiker zu kostenintensiv wäre. Laut Bernkop-Schnürch, der in Nano-Health vernetzt ist, rechnet es sich bereits ab drei Prozent. Die geschluckten Nanopartikel bilden eine Art Reservoir an der Leber, sodass sich der Körper immer so viel Insulin nehmen, wie er tatsächlich braucht. Ein derartiges Reservoir macht nur für Patienten mit Altersdiabetes (Typ II) Sinn, weil nur bei diesen Zuckerkranken die Bauchspeicheldrüse noch Reste von Insulin produziert. Bei der Alzheimer-Erkrankung versucht man die Nanopartikel mittels Spray in den Kopf zu schleusen und an der Blut-Hirn-Schranke vorbei zu bringen, die normalerweise verhindert, dass Giftstoffe in das Gehirn gelangen. Zeichnet sich also durch Bionanotechnologie eine Revolution ab? Bernkop-Schnürch gibt sich zurückhaltend. "Es ist eine semantische Frage. Man sollte nicht zu viele Erwartungen in Nano setzen. Was man mit Nanotechnologie tun kann ist, ist eine stille Revolution in kleinen Schritten." Nicht mehr und auch nicht weniger. (Peter Illetschko/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18. 4. 2005)