Um 1947 entwarf Osvaldo Borsani den Toilettetisch mit Spiegelrahmen aus transparentem Venini-Glas (4500-5000 Euro)

Foto: Dorotheum
Hier nahm in der Kunstgeschichte vieles, wenn nicht das meiste seinen Anfang. Im Laufe der Jahrhunderte entwickelte sich Italien zu einer einzigartigen Kunstgalerie unter freiem Himmel. Eines der schon legendären Kapitel: Design.


Mailand - Kein anderes Land Europas verfügt über eine vergleichbare Dichte an Protagonisten und kreativem Potenzial. Den Mythos italienischen Designs begründeten Architekten, Künstler, Ingenieure, aber auch Chemiker oder Rennfahrer. Und keiner von ihnen hatte je Design studiert.

Bis in die 80er-Jahre des 20. Jahrhunderts gab es in Italien keine Designausbildung. Das Gros der Klassiker entstand erst nach 1945 mit dem Ende des Faschismus. "Die Kunst verliebte sich in die Industrie und die wurde Teil der intellektuellen Phänomene." Dieses Zitat stammt von Gio Ponti (1891-1979), einem der wichtigsten Vertreter und "Brückenbauer". Mit seinem 1957 entworfenen Superleggera verband der studierte Architekt Tradition mit den Ansprüchen der Gegenwart, schuf aus einem Stuhltyp, den Ponti aus dem Fischerdorf Chiavari kannte, ein legendäres Serienprodukt.

Das Dorotheum bietet in der kommenden Design-Auktion am 28. April ein 8er-Set, 1958 von Cassina Meda ausgeführt (1800-2400 €). Seltener findet man auf dem internationalen Kunstmarkt Arbeiten aus der frühen Werkphase des 1891 geborenen Designstars.

Sotheby's bietet am 18. April eine der raren Gelegenheiten. In Mailand gelangt eine knapp 80 Positionen aus der Zeit der frühen 20er- bis Mitte der 30er-Jahre umfassende Kollektion aus Privatbesitz zur Versteigerung. Darunter auch Einzelstücke wie Möbelentwürfe aus ehemals kompletten Interieurausstattungen, etwa 1929 entworfene Pfeilerschränke (100.000- 150.000 €) oder ein 1931 ausgeführter Walnuss-Schreibtisch (80.000-100.000 €).

Besonders vielfältig ist die von Sotheby's angebotene Bandbreite an Keramiken. Nach Abschluss seines Studiums übernahm Gio Ponti 1923 die künstlerische Leitung bei Richard Ginori (bis 1930). Seine damalige Funktion kam der eines heutigen Artdirectors gleich, der die gesamte Produktpalette überarbeitete und auf Serienfertigung optimierte.

Zu diesen Objekten gehören dem Rauchvergnügen ("Le delizie del fumare") gewidmete Tabakdosen aus der Zeit von 1923-30, die im Bereich von 5000 und 8000 Euro den Besitzer wechseln werden. Oder die in der Tradition antiker Amphoren und Kultgefäße zwischen 1923 und 1928 gestalteten Vasen- und Schalen-Serien, für die zwischen 8000 und 20.000 Euro veranschlagt sind. Aber auch abseits einschlägiger Produktgestaltung spielte Gio Ponti vor allem für die nächste Generation italienischer Designer eine wichtige Rolle. Zu diesen Vertretern gehört Osvaldo Borsani (1911- 1985). Als Highlight kann das Dorotheum in seiner Designauktion mit einem der frühesten von Osvaldo realisierten Interieurs aufwarten: Ein 1932/33 vom damals knapp 22 Jahre alten Studenten am Mailänder Polytechnikum entworfenes Esszimmer - Sideboard, Ausziehtisch und sechs Stühle (8000-12.000 €). Etwa um die Mitte der 40er-Jahre, Borsani begann sich als Architekt zu etablieren, entstand ein Toilettetisch mit transparentem Venini-Glas, für den aktuell 4500 bis 5000 Euro veranschlagt sind. 1953 gründete Osvaldo gemeinsam mit seinem Bruder Fulgenzio die Firma Tecno.

Der Bezug zum griechischen "techne", es bedeutet sowohl Kunst als auch Technik, deckte sich perfekt mit jenen Intentionen, die Osvaldo her mehrere Jahrzehnte lang als Designer umsetzte. Das perfekte Zusammenspiel subsumierte sich etwa in dem 1954 auf der X. Mailänder Triennale präsentierten Ruhesessel P 40 - mit fröhlich-gelbem Wollstoffbezug aktuell für 2500-3500 Euro zu ersteigern. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14.4.2005)