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Wien - Ein Konvoi aus Militärfahrzeugen rattert in der Nacht über den Hauptplatz und setzt damit den Beginn einer Choreografie bedeutsamer Ereignisse: Die Kamera löst sich aus ihrer starren Position, folgt einem Pkw, der in die Gegenrichtung losfährt. In den engen Gassen verliert sie ihn wieder aus dem Blick, um ins Innere einiger Wohnungen zu lugen; schließlich aber kehrt sie zum Wagen zurück, aus dem drei Soldaten steigen und von einem Mann überrascht werden, den sie daraufhin erschießen.

Alles geschieht hier in einer einzigen langen, schwebenden Einstellung, einer so genannten Plansequenz. Die Wendigkeit der Kamera vermittelt den Eindruck von Allgegenwärtigkeit. Man glaubt, die entscheidenden Geschehnisse erfahren zu haben, selbst wenn es erst Puzzlestücke sind, die noch zusammengesetzt werden müssen. Doch in Svjedoci / Die Zeugen, einem Film des Kroaten Vinko Bresan, geht es um den Beweis des Gegenteils: Man hat immer schon zu wenig gesehen. Die Wahrheit verbirgt sich hinter einem komplizierten Geflecht spezifischer Interessen einzelner Personen und Parteien.

Ort der Handlung ist eine kroatische Kleinstadt zum Zeitpunkt des Krieges gegen Restjugoslawien. Der Tote, ein serbischer Kredithai, sollte eigentlich im Ausland weilen, während die drei Soldaten gekommen sind, um sein Haus zu verminen. Die politischen Hintergründe des Mordes erweitern den Film, der wie ein düsterer Krimi beginnt, zum Porträt einer Gemeinschaft, deren Institutionen im Zuge eines kritischen Moments der Nationenbildung versagen. Am Tatort gab es eine Zeugin, die Tochter des Opfers. Was mit ihr geschehen soll, wird zur dringlichsten Frage.

Brean folgt dabei keiner linearen Dramaturgie, sondern bricht das Geschehen sowohl zeitlich als auch perspektivisch auf: So kehrt der Film mehrmals zum Tatort zurück, um unterschiedlichen Figuren - dem Kommissar, der Journalistin und eben auch den Tätern selbst - bei ihren Ermittlungen (oder den Vertuschungsaktionen) zu folgen. Dadurch werden einzelne Situationen auf diverse Arten lesbar, aber auch Motivationen über Rückblenden aufs Kriegsgeschehen verdeutlicht. Erst die multiplen Blickweisen lassen den offiziellen, durch den Bürgermeister verkörperten Willen deutlicher hervortreten: Der Fall ist unter den Tisch zu kehren und die Wahrheit unerwünscht.

Heftige Attacken

Es überrascht nicht, dass Brean in seiner Heimat, vornehmlich von rechten Medien und Parteien, scharf attackiert wurde. Die Zeugen übt indirekt auch Kritik am Versäumnis der Politik, zurückliegende Kriegsverbrechen aufzuarbeiten. Der Film weist da- mit einerseits schon durch seine inhaltliche Brisanz über harmlos skurrile Kriegsdramen wie etwa No Man's Land hinaus; abgesehen von einem etwas zu forcierten Ende, vermag er aber auch als dichter Thriller zu überzeugen. (DER STANDARD, Printausgabe, 12.04.2005)