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Friedrich, Leo und Bronia Katz in Wien, 1950

Foto: Archiv

Leo Katz' (1892–1954) posthum erschienener Roman "Totenjäger" eröffnet den Blick des jüdischen Emigranten auf die Nazigräuel in der besetzten Bukowina – und ist paradoxerweise doch ein famoser Schelmenroman.

Wien – "Er bedauerte, dass man noch keine Strafen erfunden hatte, die die Juden auch nach dem Tode erreichen könnten. Mit Toten kann man nicht rechten und von ihnen nichts erpressen." So denkt ein Protagonist in Leo Katz' Roman Totenjäger, ein NSDAP-Funktionär, der 1940 zwecks ökonomischer Bodenbereitung nach Sereth in der Bukowina beordert wird und dort vom sagenhaften Reichtum der jüdischen Gemeinde nichts mehr vorfindet.

Als Marxist und KPÖ-Mitglied der ersten Stunde hat Leo Katz im Epos seiner Geburtsstadt den wirtschaftlichen Hintergründen von Repression und Mord einige Aufmerksamkeit gewidmet. Der Roman erschien 1944 in Mexiko-Stadt, wohin es Katz nach zwei Jahren in New York verschlagen hatte.

Sein Vorleben war abenteuerlich: 1892 als Sohn eines strenggläubigen Holzhändlers geboren, wurde er nicht, wie gewünscht, Rabbiner, sondern wandte sich den Kommunisten zu und studierte in Wien Geschichte. Im Dienste der Partei wechselte er in den 20ern als Journalist zwischen New York, Wien und Paris, ging nach Berlin, floh 1933 nach Paris und gründete dort eine Tageszeitung. Während des Spanischen Bürgerkriegs war Katz als Waffeneinkäufer für die Republikaner tätig, was 1938 zur Ausweisung aus Frankreich führte.

In New York schrieb Katz seinen ersten Roman Brennende Dörfer, eine Art Vorgeschichte zu Totenjäger, in der der Alltag im multiethnischen Sereth geschildert wird, der einstigen k.u.k. Grenzstadt zu Rumänien, deren soziales Gefüge durch den rumänischen Bauernaufstand von 1907 erschüttert wurde. Das Buch wurde nach dem Krieg in New York publiziert (heute liegt es auf Deutsch vor) und fand ein starkes Echo – was Totenjäger versagt geblieben war. Leo Katz starb 1954 in Wien.

Böse Brillanz

In Totenjäger erzählt er die Geschichte von Enteignung und Mord, aber auch von Widerstand und Rache. Er zeigt die Hierarchie der Unterdrücker, zeigt bauernschlau-korrupte rumänische Beamte, wechselnde Koalitionen und die böse Brillanz der Intrige. In seinem Panorama gibt es Protagonisten – in denen er auch die Motive der Verbrecher beleuchtet – und Helden.

Katz hat aber kein Propagandawerk verfasst: Als Gerechte im biblischen Sinn figurieren deutschstämmige und jüdische Partisanen ebenso wie rumänische Polizisten und Räuber, wie katholische und griechisch-orthodoxe Priester, die ihre Stimme gegen den Judenmord erheben. Dabei hat Katz' dichterische Fantasie, wie Konstantin Kaisers Vorwort zu entnehmen, aus dem fernen Exil die Situation in Sereth verfehlt und dabei die Entwicklung im übrigen Rumänien und in Ungarn idealtypisch getroffen.

Totenjäger ist trotz allem ein optimistisches Buch. Als Katz es schrieb, kannte er das Ausmaß des NS-Massenmords noch nicht. Mit der wunderbaren Figur des einfältigen Briefträgers Justfan hat er einen Schwejk ohne Verschmitztheit geschaffen, der die Braunen zur Weißglut bringt: Der Volksdeutsche verwechselt "Gemeinschaft" mit "Gemeinheit", sorgt sich um seine Rassekühe und glaubt, die gelben Binden der Juden seien der erste Schritt zurück in die Habsburger-Herrschaft. Leo Katz' großer Roman über eine kleine Stadt lässt sich an die Seite von Soma Morgensterns Die Blutsäule. Zeichen und Wunder am Sereth stellen und als Gegenstück zu Eginald Schlattners Der geköpfte Hahn lesen. Nach dem Abenteuermuster werden die Jäger der Toten – SS und Gestapo – wiederum von einem gejagt, der sich der Identität eines Toten bedient. Und am Schluss siegt die gute Sache.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 8.4.2005)