Vatikanstadt/Berlin - Der deutsche Kirchenhistoriker Walter
Brandmüller hat davor gewarnt, dem verstorbenen Papst Johannes Paul
II. vorschnell das Prädikat "der Große" zuzuschreiben. Die Kirche
kenne bisher nur zwei Päpste, denen sie den Beinamen "der Große"
verliehen habe, nämlich die Kirchenlehrer Leo (um 400-461) und Gregor
(um 540-604), sagte der Präsident des Päpstlichen Komitees für
Geschichtswissenschaften laut Kathpress vom Dienstag im
Deutschlandfunk. Eine solche Zuschreibung solle späteren Generationen
vorbehalten bleiben. Prälat Brandmüller äußerte sich trotz seiner
persönlichen Verbundenheit mit Johannes Paul II. skeptisch zu den
Versuchen, den verstorbenen Papst umgehend mit dem Beinamen "der
Große" zu versehen.
Im Redemanuskript der Predigt von Kardinal Angelo Sodano hatte am
Sonntag die Bezeichnung "Johannes Paul der Große" gestanden. Der
Kardinal verzichtete aber dann bei seiner Ansprache auf diesen
Begriff. Papst Leo der Große wurde im Jahr 440 zum Papst gewählt. Er
festigte entscheidend die Stellung des Bischofs von Rom und wird
deshalb von Historikern als der erste wirkliche "Papst" mit Macht zur
Leitung der gesamten abendländischen Kirche angesehen.
Völkerwanderung
Unter Gregors Herrschaft musste das Papsttum nach der Katastrophe
der Völkerwanderung die politische Macht in Italien übernehmen: Er
schloss die Gebiete Mittelitaliens zu einem einheitlichen Ganzen
zusammen, das zum Grundstein des Kirchenstaates wurde. Es gelang ihm,
Roms traditionellen Anspruch auf die kirchliche Vormachtstellung
gegenüber dem Patriarchen von Konstantinopel sowie den anderen
Bischöfen der Kirche durchzusetzen. Gregor initiierte auch die
Re-Christianisierung Englands. Er trug wesentlich zur Durchsetzung
der benediktinischen Mönchsregel bei und förderte das Klosterwesen,
eine Liturgiereform sowie die Einführung der so genannten
gregorianischen Choräle.
Kirchenkritiker
Kritik am Umgang der Öffentlichkeit mit dem Papst übte auch der
deutsche Kirchenkritiker Eugen Drewermann, der Art und Umfang der
Beisetzungsfeierlichkeiten für Papst Johannes Paul II. beanstandet.
"Was in diesen Tagen passiert, erinnert an die Trauerfeierlichkeiten
eines Ayatollah Khomeini", sagte Drewermann laut dpa am Montagabend
im Fernsehsender n-tv. Der verstorbene Papst sei mit dem gleichen
Absolutheits- und Unfehlbarkeitsanspruch wie der islamische
Religionsführer aufgetreten, der 1989 starb. Dabei benötige die
katholische Kirche dringend die Freiheit, unterschiedliche Meinungen
gelten zu lassen, meinte Drewermann. Dieser Weg sei mit Johannes Paul
II. nicht möglich gewesen. Drewermann, in Deutschland als
"Kirchenrebell aus Paderborn" bakennt, wurde 1991 die Lehrerlaubnis
entzogen, 1992 auch die Erlaubnis zu predigen. Heute arbeitet der
ehemalige Priester als Schriftsteller und Psychotherapeut. (APA)