Evelyn Grill
Foto: Lukas Beck
Wien - Profiliert hat sich Evelyn Grill mit genauen Beobachtungen alltäglichen Lebens und Scheiterns: Wilma (1994) ist die Geschichte einer geistig Behinderten und ihrer Pflegemutter auf dem Lande, Ins Ohr (2002) der telefonische Beichtmonolog einer so genannten reiferen Frau; Winterquartier (2004) spitzt die Begegnung zwischen einer alten Jungfer und einem Grobian novellenhaft zu. In Vanitas erzählt Grill nun die komplex gewobene Geschichte eines monströsen Paares:

Er, Louis A. Hofstätter, Jurist, Ästhet und homosexuell, hat vor Jahren eine wesentlich ältere, reiche Witwe namens Olga geheiratet, mit der ihn jetzt nur noch Ekel verbindet, die beiden haben einen psychisch kranken Sohn.

STANDARD: Der Doppelsinn von "Vanitas", Eitelkeit und Vergänglichkeit, weist ins Barock.

Evelyn Grill: Ich habe mich viel mit Kunstgeschichte beschäftigt, da tauchte auch dieses Vanitas-Symbol auf. Hofstätter ist seinerzeit auf Olgas ästhetisches Raffinement hereingefallen. Sie hat ihn an eine Tizianmadonna erinnert. Ich wollte den Roman ursprünglich Die Circe nennen, Olga ist eine Frau, die bis ins hohe Alter alle fasziniert, auch Junge. Ich habe da eine lebende Person im Auge. Beide Eheleute sind Snobs und ungeheuer eitel. Dieses gesellschaftliche Strebertum hat mich schon immer sehr belustigt.

STANDARD: Die Geschichte kommt realistisch daher, die Figuren sind aber Kunstfiguren. Der Konflikt zwischen Kunst und Natur gipfelt in den Plastinaten, präparierten Leichen, die wie Puppen "lebendig" gemacht werden können - ein Hinweis auf Gunther van Hagens' "Körperwelten"?

Evelyn Grill: Ja, weil ich diesen van Hagens widerlich und obszön finde. Das Schöne hat eben mit dem Guten und Wahren nichts zu tun. Empörung ist ein Antrieb zum Schreiben. Auch dieses reale Vorbild für Olga hat mich furchtbar angeekelt, andererseits habe ich es nicht verstanden. Dass die Menschen das nicht durchschauen?

Das Surreale hat sich ergeben, weil ich mich nicht wirklich in diese Frau hineinversetzen konnte. Auch nicht in den Mann. Hofstätter ist der wirklich Böse. Vielleicht wird er wahnsinnig, vielleicht ist er's schon. Manche sagen, der lässt mich kalt. Aber man sollte sich hier weniger für die Menschen interessieren als für die Konstellation und das Wie. Wie das angepackt ist. Sicher artifizieller als sonst bei mir, es ist ein Spiel. Ich habe einige Zitate von den Symbolisten, von Huysmans und Baudelaire, darin versteckt.

STANDARD:Hofstätters Haus wird von Obdachlosen und ihren Hunden belagert. Geht es um eine diffuse Bedrohung?

Evelyn Grill: Das ist auch ein sozialer Impetus. Weil die Schere in der Gesellschaft immer weiter auseinander geht. Die Sandler sind aber nicht sehr sympathisch. Der Hofstätter fühlt sich von ihren Hunden bedroht. Ich habe die Hunde wirklich mit Genuss vergiftet. Ich kann Hunde nicht leiden, das ist meine persönliche Idiosynkrasie, und da hab ich mir erlaubt, so richtig zuzuschlagen. Es sind übrigens Hündinnen, vor denen er sich fürchtet, wie vor der Weiblichkeit schlechthin.

STANDARD: Sie haben Ihre Schauplätze nach Deutschland verlagert, Wien spielt aber hinein.

Evelyn Grill: Ja, in Vanitas ist es das Imperial und das Kunsthistorische Museum. Wo ich mich topografisch auskenne, dort kann ich mit den Figuren hantieren. Es macht Spaß, Schauplätze zu benennen, da hat man das Gefühl der Besitzergreifung. Ich hab jetzt nach Freiburg einen Fuß gesetzt und nach Karlsruhe und ins Imperial. Da glaube ich dann immer, es gehört mir was. Wenn ich jetzt vor der Tizianmadonna stehe, dann gehört mir die auch. Ich habe eine Beziehung zu ihr entwickelt.

STANDARD: Das Bürgertum ist hier ein Hort der Perversionen - Sie schrecken nicht vor ungustiösen Details zurück.

Evelyn Grill: Nein. Entweder ich schau hin, oder ich schau nicht hin. Wenn ich hinschau', dann muss ich genau schauen, und dann schreib ich darüber. Wenn man einen bestimmten Humor versteht, kann man bei Vanitas aber auch viel lachen. Bei den Lesungen wird gelacht, hinterher sind die Leute darüber erschrocken. Die ganz grauslichen Sachen habe ich gar nicht vorgelesen. Ins Ohr ist vordergründig komischer, da können vor allem die Frauen manches mit einer gewissen Schadenfreude nachfühlen. Da gehe ich kein Risiko ein, bei Vanitas schon.

STANDARD: Wie war das früher mit dem österreichischen Deutsch beim deutschen Verlag Suhrkamp?

Evelyn Grill: Bei Wilma hat der Lektor etliches herausgestrichen, was man in Deutschland angeblich nicht versteht. Erstaunlicherweise hat er mir die "Tuchent" gelassen, aber zum Beispiel nicht "heroben". Und dass die Deutschen nicht unterscheiden zwischen "ich bin gestanden" und "ich habe gestanden", das macht mich verrückt. Das Österreichische ist viel sinnlicher, poetischer. (DER STANDARD, Print, 5.4.2005)