Ein Liebhaber enzyklopädischer Vernetzungen: der Filmemacher und Künstler Gustav Deutsch.

Foto: Newald

Ungerührt setzt der österreichische Künstler Gustav Deutsch seine Arbeit über die Machart filmischer Bilder zwischen "Illusion" und "Realität" fort: Sein neuestes Werk heißt "Welt Spiegel Kino." Jetzt läuft es gerade im Wiener Stadtkino.

Wien – Im zeitgenössischen heimischen Filmschaffen ist Gustav Deutsch (52) ein rarer Generalist. Und: ein gleichzeitig geradezu erratisch systematischer Forscher in Sachen Bild-Konstruktionen – egal, ob diese nun in der zeitgenössischen Kunst neu etabliert werden, in Home-Movies von Amateuren seltsam schematisch werden oder ob sie in der Frühzeit des Kinos noch wunderbar unbelastet eine wahre Fülle an Information zulassen.

Der studierte Architekt legte schon im Rahmen der Künstlergruppe Der blaue Kompressor denkwürdige Foto- und Textarchive an. Gegenwärtig bereitet er mit seiner Lebensgefährtin Hanna Schimek in Griechenland eine weitere Ausgabe des Symposions-Projekts Aegina Akademie vor. Für eine große Ausstellung in Köln bereitet er gemeinsam mit dem WDR eine Reihe von acht kurzen Meta-"Tatorts" vor, zum Bild des Fremden, wie es die Krimiserie über viele Jahre und Folgen hinweg variierte. Gleichzeitig läuft jetzt im Wiener Stadtkino regulär jenes jüngste filmische Großprojekt, das gegenwärtig bei internationalen Festivals Furore macht: Welt Spiegel Kino.

Ausgangspunkt für dieses vorläufig dreiteilige Episodenwerk, das ähnlich wie sein Vorgänger Film ist als "work in progress" angelegt ist, war, so Deutsch, "ein unverhofftes Fundstück aus dem niederländischen Filmarchiv: ein Schwenk über eine der Hauptstraßen von Surabaya, 1929. Fasziniert hat mich darin das pulsierende Leben, das sich in dieser einzigen Einstellung vermittelt – und mittendrin ein Kino, in dem laut Ankündigung Fritz Langs Nibelungen gespielt wurden."

Orte. Passagen.

Dies führte zur Idee, zwei filmische "Realitäten" quasi ineinander zu spiegeln. Hier die Darstellung des Lebens auf der Straße, da die Erzählungen drinnen, im Kino. Drei "Orte" hat Gustav Deutsch schließlich nach langer Recherche in Archiven für seine Auslotung dieses Wechselspiels "besucht": ein Kinematograf-Theater in Wien-Erdberg, 1910; das Kino in Surabaya, und, ebenfalls Ende der 20er-Jahre, ein Filmpalast in Porto – und in all diesen Welt- und Film-Ausschnitten bedient er sich derselben Methode. Das Ursprungsmaterial wird verlangsamt, einzelne Menschen werden aus der Masse herausgezoomt ("das funktionierte teilweise wie bei einem Casting"), und treten in Überblendungen in Kontakt mit zeitgenössischen Spielfilm- und Dokumentarbildern.

Aus normalerweise nur flüchtig wahrgenommenen Einzelbewegungen schälen sich in Welt Spiegel Kino Menschen heraus, denen Deutsch mit seinen Montagen gewissermaßen Leben, Erinnerungen und Zukunftsbeschwörungen hinzuerzählt – durchaus mit einem "Gefühl der Verantwortung": "Es geht schon darum, etwas genau über diese Individuen in ihrer Zeit auszusagen." Genau dadurch, in dieser Präzision, so Deutsch, würden die Bilder dann ja auch wieder zeitlos.

Oft wird gegenwärtig in Rezensionen von Welt Spiegel Kino Walter Benjamin als Verfasser des Passagenwerks herbei zitiert. Wie schrieb einst Adorno über Benjamin: "Unbeirrt stand er zu seinem Grundsatz: Die kleinste Zelle angeschauter Wirklichkeit wiege den Rest der ganzen Welt auf." Damit kann sich Deutsch – Einschränkung: "Ich habe mich mit Benjamin nicht wirklich befasst" – gut identifizieren: "Und es gibt immer noch kleinere Zellen. Man dringt ein in etwas, das zuerst augenscheinlich nicht das Wichtige ist, nimmt etwa einen kleinen Buben, der durchs Bild rennt, und plötzlich tut sich eine ganze Fülle an Fragen auf." Die Welt beginne sich quasi enzyklopädisch aufzufächern. Und wie Benjamin begegnet Deutsch diesem Phänomen mit einer Vorliebe für Vernetzungen.

Auch die Arbeit an der Filmmusik, mit Burkhard Stangl und Christian Fennesz inspiriert ihn zu immer neuen Vertiefungen in die Körnung der Bilder, in Details und Stimmungen. Entsprechend wird wohl auch Welt Spiegel Kino demnächst in Live-Performances den Dialog zwischen Bild und Ton immer wieder neu aufnehmen.

Ob Gustav Deutsch nach soviel Arbeit mit "gefundenen" Bildern nicht auch einmal selbst etwas "drehen" würde? Tatsächlich schwebt ihm in näherer Zukunft ein Spielfilm vor. Oder richtiger: eine filmische Erzählung, "für die ich wieder eng mit Musikern, Architekten, Theoretikern zusammen arbeiten möchte." Gut möglich, dass sich so das heimische Kino einmal mehr von jener Seite her revitalisiert, die immer schon seine stärkste war: der Avantgarde, dem Experiment. (Der Standard, Printausgabe, 4.4. 2005)