"Das Wesen der Zivilisation ist, dass die Starken die Verpflichtung haben, die Schwachen zu schützen", erklärte Präsident George W. Bush nach dem Tod der 41-jährigen Terri Schiavo und drückte ihrer Familie - offenbar nicht nur den Eltern, sondern auch Ehemann Michael Schiavo - sein Beileid aus. Und zog gleichzeitig seine Bilanz aus der Tragödie: Dies könnte der Anstoß für eine "Kultur des Lebens sein, in der alle Amerikaner willkommen sind, geschätzt und geschützt zu werden": Worte, die nicht einmal besonders verschlüsselt zu einer neuerlichen Diskussion über die Abtreibung aufrufen.

Mit dem Tod von Schiavo, die fünfzehn Jahre im Wachkoma gelegen war, ist die "Terri-Saga" jedoch längst nicht zu Ende. Nun kämpfen ihre Eltern um das Recht, ihre Tochter im Familiengrab in Florida beizusetzen; Terris Mann besteht auf ihrer Einäscherung und einem Begräbnis in Pennsylvania, wo die beiden aufgewachsen waren. Zuvor will Michael Schiavo jedoch eine Autopsie, die ein für alle Mal feststellt, dass Terris Gehirnfunktionen unwiederbringlich zerstört waren.

Es ist zu erwarten, dass PolitikerInnen auf beiden Seiten des Spektrums das Drama um Terri Schiavo noch eine Zeit lang ausschlachten werden, allen voran der umstrittene Mehrheitenführer im US-Repräsentantenhaus, Tom Delay. Bevor der Fall Schiavo groß in die Medien gekommen war, hatte der wegen politischer Interessenskonflikte mehrfach vom Kongress gemaßregelte Republikaner eher die Öffentlichkeit gescheut. Dann sah der Abtreibungsgegner und Todesstrafenbefürworter jedoch eine Chance, sich mit seiner Hausmacht aus der religiösen Rechten wieder im rechten Licht zu positionieren. Nach Terris Tod bezeichnete er pauschal die Justiz als "arrogante und außer Kontrolle geratene Gewalt, die dem Präsidenten und dem Kongress die lange Nase dreht".

Im Widerspruch

Zuletzt platzte selbst einem konservativen Richter, dem von George W. Bush eingesetzten Stanley F. Birch, ob der Angriffe von Delay der Kragen. Er kritisierte nicht nur die Exekutive, also den Präsidenten, sondern auch den Kongress: Beide hätten sich in "einer Art und Weise verhalten, die im Widerspruch zu den Plänen der Gründungsväter für die Regierungsgewalt eines freien Volkes steht - zu unserer Verfassung".

Viele DemokratInnen, die sich bemerkenswert diskret verhalten haben, obwohl sich die überwältigende Mehrheit der AmerikanerInnen gegen die Einmischung des Kongresses und des Präsidenten aussprach, hoffen nun darauf, dass sich die Rhetorik vieler rechtslastiger Republikaner als Bumerang erweisen könnte: Da wurden nicht nur Ehemann Michael Schiavo, sondern auch ehrbare Bundesrichter als "Killer" bezeichnet. Es gab auch Kritiker, die in TV-Interviews vor den Worten "Mord" und "Mörder" nicht Halt machten - gleichzeitig jedoch versicherten, dass die "Kultur des Lebens" keineswegs auf die in den USA noch immer gesetzlich erlaubte Todesstrafe anwendbar sei. (DER STANDARD, Print, 2./3.4.2005)