In Salzburg hat es eine Sachverständige (Juliane Köhler) schwer, mit echten Zahlen und Fakten zu überzeugen.

Foto: Löffelberger

Salzburg – Das Glück wäre nicht aus zudenken: Was würde mit Salzburg geschehen, wenn es neben Kirchenbarock und Festspielen auch noch eine überreich sprudelnde Thermalquelle besäße? Regisseurin Amelie Niermeyer erteilt im Landestheater der Sal zachstadt bereitwillig Auskunft.

Henrik Ibsen hat mit Ein Volksfeind 1882 die geeignete, weil universell übertragbare Vorlage geliefert. Gefragt ist ein rasch auszufüllendes Dramenformular – ein Lehrstück über Behördenwillkür und bürgerliche Zivilcourage.

Supermensch Dr. Stockmann

Eine Gemeinde hat in zentraler Alpenlage ein Kurbad errichtet. Der Spiritus Rector der devisenbringenden Anlage ist bei Ibsen ein Badearzt, der ein wenig selbstgefällige Saubermann und Supermensch Dr. Thomas Stockmann.

Hier, in Salzburg, ist Stockmann eine auf Zahlen und Fakten versessene Sachverständige (Juliane Köhler): Katrine, eine Frau. Die Präsentation der Thermalquelle gleicht einer Bürgerversammlung, und Niermeyer gelingt mit dem Auftakt von Die Volks feindin ein Coup. Untrennbar miteinander verbunden sind hier, in einer Art Öffentlichkeitsbüro mit Kulissenwänden (Bühne: Maria-Alice Bahra), Promotion und internes Gemauschel.

Am Katzentisch

Der bullige Bürgermeister (Christoph Wieschke) ist Frau Stockmanns Bruder. Als Projektbetreiber der eigenen Wiederwahl ist er hier nur bedingt vertrauenswürdig. Umgekehrt darf sein Züge von Erbitterung zur Schau stellendes Schwesterherz keinesfalls auf brüderliche Unterstützung hoffen. Im Gemeinderat sitzt Köhler am Katzentisch; gehört werden vor allem die superalerten Zeitungsschwätzer (Max Koch) oder die in Boutiquen gestählten Vertreterinnen der Kapitalmacht (Britta Bayer).

Dabei hat Frau Doktor Stockmann eigentlich einen skanda lösen Missstand öffentlich zu machen. Das Thermalwasser stinkt nicht (nur) zum Himmel, es ist aufgrund der Giftanteile im Boden verseucht. Dumm nur, dass die Kundmachung des Übelstands den Kapitalinteressen von Kommune und Tourismuswirtschaft komplett zuwiderläuft.

Lächerlichmachung einer Frau

Niermeyers Ibsen-Überschreibung ist wie aus dem Lehrbuch. Geschildert wird die Demontage und Lächerlichmachung einer Frau, die so lange an das Gute in unserem Gemeinwesen glaubt, bis sie nur noch tobt und schrill herumkeift – und sich allein deshalb ins Unrecht setzt.

Darüber hinaus hat man Henrik Ibsen aber auch den evangelischen Ernst ausgetrieben: den Stockmännern die Stockflecken. Der Konflikt der beiden Geschwister gilt zusätzlich einer Art von Liebesverstrickung. Dazu passt der entbehrungsreiche Charakter von Frau Doktors Lebensführung, die sich als Alleinerzieherin von der patenten Tochter (Anna Seeberger) die Fußballen drücken lässt.

Man hört im Ort die Kunde der Hygienikerin. Man glaubt die Botschaft wohl; nun muss ihre Überbringerin dran glauben. Angestellte des lokalen Schmierblattes beginnen einen Feldzug gegen die heilige Katrine der Waschanlagen. Frau Doktors Warnrufe sickern in die sozialen Medien.

Auf verlorenem Posten

Szenenwechsel: Ein Schmierlappen von Moderator (Thomas Huber) begrüßt mit zauberhafter Assistentin (Nikola Rudle) das Studiopublikum. Der Ort, wo die dringenden Angelegenheiten der Öffentlichkeit hingehören, ist der Platz vor den TV-Scheinwerfern. Muss man noch extra betonen, dass die eingeladene Frau Doktor Stockmann auf verlorenem Posten kämpft? Dass sie, provoziert von den rechtschaffenen Dackel blicken ringsum, sich in Ton und Register vergreift?

"Ich bin nicht lieb!", schreit Köhler überschnappend. Und: "Das Recht hat immer die Minderheit!" Die Umsitzenden im Fernsehstudio wechseln Blicke des Entsetzens. Frau Stockmann hätte ihr Wissen um die Vergiftung des Wassers doch bloß etwas zurückhalten sollen. Die Verfahren von Demokratie und Verwaltung heischen Elastizität – und ein gehö riges Maß an Laxheit im Umgang mit der Wahrheit.

Das Wort "Ausrotten"

Irgendwann entfleucht der Ärztin ein unverzeihliches Wort: "Ausrotten!" Sie verspricht, niemals ein Zugeständnis zu machen. Und so lässt Niermeyers meisterhaft leichte Inszenierung bis zuletzt offen, ob die Kämpferin auf der Bühne oben das Salz in der Suppe der Demokratie ist – oder deren Vergifterin.

Verdienter Jubel für Juliane Köhler, den Gast aus München, und das ganze Team. (Ronald Pohl, 12.5.2019)