Im Polizeianhaltezentrum (PAZ) am Hernalser Gürtel in Wien-Josefstadt ist am Freitagabend ein Feuer ausgebrochen. Das Feuer wurde von sechs Schubhäftlingen gelegt, wie die Polizei in einer Aussendung mitteilte.

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Der innere Gürtel war einige Zeit für den Verkehr gesperrt. Zahlreiche Wägen von Polizei und Rettung blockierten die Fahrbahn.

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Wien – Sechs Schubhäftlinge haben in der Nacht auf Samstag in einer Zelle des Wiener Polizeianhaltezentrums (PAZ) am Hernalser Gürtel in der Josefstadt Feuer gelegt und versucht, die Einsatzkräfte am Betreten des Raumes zu hindern. Alle sechs Insassen der Zelle – fünf Afghanen und ein Iraner – wurden schwer verletzt. Die Wiener Berufsrettung lieferte sie in der Nacht in die Intensivstationen dreier Krankenhäuser in der Bundeshauptstadt ein. Dabei mussten zwei der Schwerverletzten künstlich beatmet werden. Samstagmittag befanden sich alle sechs nicht mehr in Lebensgefahr.

Ermittler zweifeln an Gruppensuizid

Die sechs Schubhäftlinge wollten offenbar gemeinsam Suizid verüben. Das sagte Polizeisprecher Harald Sörös Samstagfrüh. Zu Mittag ergänzte der Polizeisprecher seine Aussagen. Ermittler würden demnach an der Suizid-Theorie zweifeln. Die sechs Schubhäftlinge hätten das Feuer gelegt und seien dann in den Waschraum gegangen – ein an die Zelle angeschlossener Extraraum mit eigener Tür. Dort hätten sie nasse Fetzen vor die Tür gelegt, damit keine Rauchgase in den Raum dringen. Weil der Stoff aber nicht wirklich abdichtete, lief ein Häftling zur Tür, um Hilfe zu holen. Polizisten hatten einen Mann wenig später hinter der Zellentür liegend gefunden und geborgen.

Die Männer hatten einen Abschiedsbrief hinterlassen. In dem stark angesengten Schriftstück – ein Zettel im DIN A5-Format – schrieben die fünf Afghanen und der Iraner, dass es keinen Sinn mehr mache und sie keine Perspektive mehr sehen würden. Außerdem vermerkten sie Sörös zufolge ihre Abschiebe-Termine. Der Brief war auf Deutsch verfasst.

Experten betonen, dass jeder Suizid bzw. Suizidversuch auf eine Vielzahl von Ursachen zurückzuführen ist. Außerdem sei es wichtig, versuchte Selbsttötungen nicht als Hilfeschrei abzutun, sondern sie ernst zu nehmen, sagen Thomas Niederkrotenthaler von der Abteilung für Sozial- und Präventivmedizin der Meduni Wien und Gerald Tomandl, klinischer Psychologe am Kriseninterventionszentrum.

Details zu den Schubhäftlingen

Sörös gab am Samstag auch Details zu den Insassen bekannt.

Einer der Afghanen, ein 19-Jähriger, ist demnach auch schon einmal in Hungerstreik getreten. Er befand sich seit 3. August in Schubhaft, hatte aber noch keinen Termin für seine Abschiebung. Er war es auch, der am schwersten verletzt wurde: Neben einem Inhalationstrauma erlitt er Verbrennungen von zehn Prozent der Hautoberfläche.

Der jüngste Insasse war ein 18-jähriger Afghane, der seit 23. Juli in Schubhaft saß. Er sollte am 17. September abgeschoben werden. Dieser Mann erlitt ebenfalls ein Inhalationstrauma. Daneben hatte nur noch ein Schubhäftling einen Abschiebungstermin: der einzige Iraner in der Zelle, 30 Jahre alt. Er sollte am 19. September außer Landes gebracht werden und befand sich seit 6. September in Schubhaft. Sein Gesundheitszustand war am Tag nach dem Feuer ebenso wie der der drei übrigen Insassen stabil, so Sörös.

Bei diesen drei anderen handelt es sich um Afghanen im Alter von 22, 31 und 33 Jahren. Der 31-Jährige saß seit 24. Juli in Schubhaft, der 22-Jährige seit 14. und der 33-Jährige seit 29. August. Alle drei hatten noch keinen Termin für die Abschiebung.

70 Feuerwehrleute im Einsatz

Das Feuer wurde gegen 22.30 Uhr in einer Zelle im ersten Stock des PAZ gelegt. Es wurden zunächst starke Polizeikräfte, 50 bis 60 Polizisten im Regeldienst, dazu je 20 Beamte der Wiener Einsatzgruppe Alarmabteilung und der Bereitschaftseinheit, herangezogen. Die Rauchentwicklung war aber zu stark. So übernahm die Wiener Berufsfeuerwehr.

"Wir wurden gegen 22.30 Uhr alarmiert und lösten – wie in solchen Fällen üblich – Alarmstufe zwei aus", sagte der Sprecher der Berufsfeuerwehr, Gerald Schimpf. Unter Atemschutz drangen die Feuerwehrleute – 70 waren im Einsatz – mit einer Löschleitung in das Gebäude ein.

Verbarrikadierte Tür

Die Flammen waren schnell gelöscht. Wegen der starken Rauchentwicklung wurden 40 weitere Häftlinge aus dem ersten Stock des PAZ teilweise in den Innenhof und in andere Stockwerke evakuiert. Bei 14 bestand der Verdacht auf Rauchgasvergiftung, daher wurden sie von der Berufsrettung medizinisch versorgt. Die Feuerwehr kontrollierte das Gebäude auf Rauchgase.

Erste Ermittlungen ergaben, dass die sechs Häftlinge Matratzen und Bettzeug in Brand gesteckt hatten. Die Einsatzkräfte taten sich schwer in die Zelle einzudringen. Die Häftlinge hatten die Tür mit einem Spind verbarrikadiert. Nach Angaben der Polizei erlitten auch drei Beamte eine leichte Rauchgasvergiftung.

Die Möglichkeit, Feuer zu machen, stellt im Polizeianhaltezentrum grundsätzlich kein großes Problem dar. "Es gibt grundsätzlich zwischen 8.00 und 17.00 Uhr einen offenen Vollzug", erläuterte Sörös. Die Häftlinge könnten sich in diesem Zeitraum in dem jeweiligen Block frei bewegen. "Es ist ja kein Strafvollzug, sondern die Schubhaft dient ausschließlich der Verfahrenssicherung", sagte der Polizeisprecher. Es gibt außerdem Raucher- und Nichtraucherzellen, in die jeder zu den angebenen Zeiten hineingehen kann. Daher fällt auch der Zugang zu Feuerzeugen oder Zündhölzern nicht schwer.

Innenminister Kickl (FPÖ) "tief betroffen"

Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) hat "tief betroffen" auf den Brand im Polizeianhaltezentrum (PAZ) am Hernalser Gürtel in Wien reagiert. "Ich nehme diesen Vorfall zum Anlass, die Sicherheitsmaßnahmen in den Polizeianhaltezentren einer Überprüfung zu unterziehen, um das Brandrisiko in den Polizeianhaltezentren zu minimieren", kündigte der Ressortchef zudem an.

"Ich wünsche allen Opfern eine rasche und vollständige Genesung. Mein besonderer Dank gilt den Einsatzkräften der Polizei, der Feuerwehr und der Rettung, die durch ihr entschlossenes Eingreifen noch Schlimmeres verhindert haben", sagte Kickl.

Mehr Menschen in Schubhaft

Gegenüber 2016 gab es im Jahr darauf um 90 Prozent mehr Schubhäftlinge in Österreich. Im Sommer zeigten sich bei einem Lokalaugenschein von Ö1 die belastenden Bedingungen im Anhaltezentrum am Hernalser Gürtel – sowohl für Beamten als auch für Häftlinge. Letztere berichteten beim Besuch des Journalisten von Hungerstreiks, Selbstverletzungen und Selbstmordversuchen.

Schubhaft ist keine Strafhaft oder eine richterlich verordnete Haft, sondern wird von der Verwaltungsbehörde per Bescheid ausgesprochen und durchgesetzt. Tatsächlich haben nur wenige Schubhäftlinge eine Straftat begangen, in Hernals seien es etwa zehn Prozent. Viele von ihnen können die Inhaftierung deswegen nicht nachvollziehen, vor allem die Dauer mache einigen zu schaffen, wissen Experten. Seit der letzten Gesetzesänderung kann Schubhaft bis zu 18 Monaten dauern. "Eine Schubhaft hat einen reinen Sicherungscharakter. Jemand ist illegal im Land, reist nicht selbstständig aus. Die Ultima Ratio ist die Schubhaft, und dann ist es natürlich sehr schwer, demjenigen einen Sinn hier zu geben", sagte der Leiter des Polizeianhaltezentrums Wien-Hernals gegenüber Ö1.

Ende 2017 hat eine Arbeitsgruppe – bestehend aus Experten des Innenministeriums, der Volksanwaltschaft und aus Psychiatern – dem Innenressort eine Empfehlung geschrieben, wie man mit suizidgefährdeten Schubhäftlingen am besten umgehen sollte. Das wichtigste sei die Sensibilisierung des Personals. Das Bewusstsein darüber lasse in Polizeikreisen aber zu wünschen übrig, erzählten Mitglieder der Gruppe.

Nicht der erste Brand in einer Haftanstalt

Brände sind in österreichischen Justizanstalten und Polizeianhaltezentren nicht ungewöhnlich. So sprach Gerald Schimpf, Sprecher der Wiener Berufsfeuerwehr, davon, dass es pro Jahr einige derartige Einsätze gibt.

Aufsehen erregte jüngst ein Zellenbrand in der Justizanstalt Josefstadt im Oktober 2016. Ein Häftling hatte in seiner Zelle eine Matratze angezündet, weil er seine Verlegung in einen anderen Haftraum erzwingen wollte. In einem Bericht des Falter war im Sommer der Vorwurf erhoben worden, dass die Brandbekämpfung zu lange gedauert habe, was das Justizministerium zurückwies.

Der Brandstifter hinderte jedenfalls seine Mitinsassen daran, Alarm zu schlagen. Er wurde Anfang Februar 2018 wegen Brandstiftung, schwerer Körperverletzung und Nötigung zunächst nicht rechtskräftig zu zwölf Jahren Haft verurteilt.

Viele Übungen

Im Juli 2018 wurde in Graz ein Häftling verurteilt, weil er in der Justizanstalt Graz-Karlau seine Zelle angezündet hatte. Er habe nur weg aus dieser Abteilung gewollt, gab er vor Gericht an. Letztlich wurde er zu acht Monaten Haft verurteilt.

Schimpf zufolge übt die Wiener Berufsfeuerwehr immer wieder solche Szenarien. In der Nacht auf Samstag dürften die Einsatzkräfte davon durchaus profitiert haben. Das Polizeianhaltezentrum (PAZ) am Hernalser Gürtel ist immer wieder Schauplatz von Übungen der Blaulichtorganisationen.

Welche Polizeianhaltezentren es in Wien gibt

Neben dem PAZ am Hernalser Gürtel gibt es zwei weitere: Im PAZ in Simmering werden vor allem Familien untergebracht, die abgeschoben werden sollen. Das PAZ am Hernalser Gürtel ist für Schubhäftlinge vorgesehen. Eine andere Aufgabe hat das PAZ auf der Rossauer Lände. Dort sitzen vor allem Personen, die Geldstrafen nicht begleichen können oder wollen und stattdessen Ersatzfreiheitsstrafen antreten. (APA, lhag, 15.9.2018)