Goldene Zeiten? Beim Burgtheater verknüpft man sie gerne mit der Direktion von Claus Peymann (1986–1999): Bis zu 150 feste Ensemblemitglieder beschäftigte der streitbare Zampano einst. Sein Nachfolger Klaus Bachler reduzierte auf 100 bis 110. Unter Matthias Hartmann (2009–2014) waren kurzbefristete Verträge bereits der Normalfall: Die Burg zählte 72 Schauspieler, als der Finanzskandal hochging. Karin Bergmann musste das Schiff seit 2014 wieder auf Kurs bringen – mit derzeit 65 Akteuren.

Foto: Burgtheater / Georg Soulek

Wenn Martin Kušej im September 2019 als Burgtheaterdirektor antritt, wird das Ensemble deutlich anders aussehen als heute. Bereits vor einem Jahr kündigte er an, "den halben Suppentopf ausleeren" zu wollen – eine Formulierung, die er gleich wieder revidiert hat. Dennoch war die Unruhe groß. Und sie ist es bis heute geblieben. Noch vor Spielzeitende wurden Arbeitsverhältnisse verlängert – oder eben nicht.

Einige jener Schauspieler, deren Verträge nicht verlängert wurden, haben mit dem STANDARD gesprochen. Ihre Namen möchten sie aber nicht in der Zeitung lesen. Auch die Ensemblevertretung will sich (noch) nicht äußern. Über die personellen Änderungen kursieren in Theaterkreisen viele Gerüchte. Vor allem die Hartmann-Leute würden das Haus verlassen, sagt ein Ensemblemitglied, das ungenannt bleiben möchte.

Kušej sei zwar ein mediterraner Mensch, aber einer, der mit kühlem Verstand an die Sachen herangehe. So beschrieb ihn einst sein Vorgänger und nachmaliger Münchner Theaternachbar, Nikolaus Bachler. Mit personellen Veränderungen musste man also rechnen. Mit Persönlichkeiten wie Bibiana Beglau, Werner Wölbern oder Sophie von Kessel hat Kušej am Residenztheater tolle Schauspieler. Sie werden ihm – zumindest teilweise – folgen.

Viele stellen sich derzeit aber die Frage: Können fundamentale personelle Änderungen ein Haus nachhaltig schädigen? Gerade an der Burg spielt das Ensemble traditionell eine große Rolle: Der besondere Nimbus von Burgschauspielern liegt in der historischen Bedeutung des Theaters begründet. Deren Künstler genossen zur Kaiserzeit gesellschaftlich höchstes Ansehen. Sie waren meist auf Lebenszeit angestellt. Ein geradezu herrschaftliches Porträt wie das der ersten Doyenne Christiane Weidner anno 1786 spricht Bände. Wie kein anderes deutschsprachiges Theater ehrt das Haus seine Publikumslieblinge mit in Auftrag gegebenen Gemälden für die Porträtgalerie. Auch die Begräbnisrituale der Ehrenmitglieder sind einzigartig.

Auch andere Städte haben allerdings erstklassige Schauspielensembles, und auch an diesen wechselt die Belegschaft. Aber nirgends schlagen Änderungen so hohe Wellen wie an der Burg. Über die Jahre hinweg musste das Burg-Ensemble bereits Federn lassen – beschleunigt durch den Finanzskandal. Das Ensemble schrumpft stetig. Ein Grund dafür liegt im Auslaufen von Pragmatisierungen. Verträge werden heute individuell ausgehandelt, viele sind kurz befristet. Manche Schauspieler haben Sonderabmachungen. Vertragliche Anforderungen erschweren es, auswärtige Angebote anzunehmen. Darüber hat sich kürzlich Peter Simonischek beklagt, dessen Filmkarriere weiter steil bergauf geht und der einen Abgang vom Burgtheater nicht für ausgeschlossen hielt. Auf STANDARD-Anfrage bestätigt er aber einen Verbleib über die Ära Karin Bergmanns hinaus.

Das Burgtheater ist bis heute eines der reichsten und größten Repertoiretheater der Welt. Allerdings hat die finanzielle Krise ab 2014 Spuren hinterlassen. Das Ensemble wurde nachhaltig erschüttert. "Es fiel damals vieles auseinander. Es gab so viele Gerüchte. Wem sollte man noch glauben?", so die Stimme aus dem Ensemble. Laut Einschätzung des Schauspielers wäre ein fundamentaler Umbau des Ensembles riskant: "Man hat Hartmann und Bergmann immer vorgeworfen, einen zu wenig radikalen Schnitt zu machen. Aber der ist bei einem Haus dieser Größe auch nicht ratsam. Es dauert, bis man ein Ensemble etabliert hat. Viele Mitarbeiter am Haus haben eine Wichtigkeit, die leicht unterschätzt wird."

Für Kušej gilt es nun, die Wogen zu glätten und den Zusammenhalt zu beschwören. Derzeit hält das Ensemble bei 65 Mitgliedern. Weniger sollten es auch in Zeiten, in denen es Ensembletheatern aufgrund ihres Kostenfaktors schleichend an den Kragen geht, nicht werden. Für Karin Bergmann lag die absolute Schmerzgrenze bei 60 Mitgliedern.

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Derdesignierte Burgtheaterdirektor Martin Kušej sorgt für Brodeln in der Gerüchteküche.
Foto: APA/HANS PUNZ

Kušej über Änderungen im Ensemble: "Die Zahl von 40 Prozent ist falsch"

STANDARD: Sie haben einen großen Ensemble-Umbau angekündigt. Man munkelt etwas von 40 Prozent. Wie groß wird er ausfallen?

Kušej: Ich würde hier nicht von einem Umbau sprechen, das ist eine seltsame Begrifflichkeit, wir reden schließlich über Kolleginnen und Kollegen. Dass das Engagement einer neuen künstlerischen Direktion Veränderungen in der künstlerischen Ausrichtung und im Ensemble mit sich bringt, ist kein ungewöhnlicher Vorgang und auch notwendig, um neue Akzente zu setzen. So wird die Zusammenarbeit mit ein paar Kolleginnen und Kollegen keine Fortsetzung finden, dafür werde ich neue Gesichter an das Burgtheater engagieren, aber – und dies beantwortet Ihre Frage – der Großteil des derzeitigen Ensembles wird weiter auf den Burgtheater-Bühnen zu erleben sein. Die Zahl von 40 Prozent ist falsch.

STANDARD: Sie sagten, die großen Veränderungen seien auch der Auftrag des Ministeriums gewesen. Was wird da gewünscht?

Kušej: Es besteht und bestand vor einem Jahr kein Zweifel daran, dass nach den skandalösen Vorkommnissen am Burgtheater und einer ebenso erfolgreichen wie auch fundierten Konsolidierungsphase ein neuer künstlerischer Start nötig ist. Damit wurde ich vom damaligen Minister Drozda beauftragt, und ich hege nach meinen ersten Begegnungen mit Minister Blümel keinen Zweifel daran, dass er das genauso sieht. Jedes Theater braucht von Zeit zu Zeit neue Impulse, muss sich selbst hinterfragen und unbekanntes, unsicheres Terrain erforschen. Nur so kann es auch in eine Gesellschaft hineinwirken.

STANDARD: Wir hören gerüchteweise, dass Gespräche mit Schauspielern teilweise untergriffig verlaufen seien. Ihre Stellungnahme?

Kušej: Ja, ja, das Gerücht und die Denunziation – die Wiener Form der Kommunikation. Ich bevorzuge dagegen Offenheit, Transparenz, Sachlichkeit und Respekt. Dementsprechend sind alle meine bisherigen Gespräche mit über sechzig Schauspielerinnen und Schauspielern des Ensembles auch verlaufen. Sie wurden in Anwesenheit meiner Stellvertreterin Alexandra Althoff geführt und wurden mit dem Betriebsrat besprochen. Dem Betriebsrat sind auch keine derartigen Vorwürfe bekannt. Unser Bemühen war es, mit allen Beteiligten frühzeitig im Juni – also drei Monate bzw. über ein halbes Jahr vor den gesetzlichen Fristen – ein persönliches Gespräch zu führen, um Klarheit zu schaffen und die Chance zu geben, sich sehr frühzeitig neu orientieren zu können. Klar, diese Begegnungen sind höchst sensibel, und natürlich gehe ich damit sehr verantwortungsbewusst um.

STANDARD: Sie wollen Auswärtsverpflichtungen einschränken. Warum?

Kušej: Die Struktur des Ensemble- und Repertoiretheaters stellt einen mit dem täglichen Spielbetrieb im Burg- und Akademietheater vor große Herausforderungen. Daher möchte ich, dass die Schauspielerinnen und Schauspieler, die fest im Ensemble engagiert sind, uns voll zur Verfügung stehen und nicht noch an anderen Theatern spielen. Filmdrehs werden wir nach Absprache ermöglichen, sofern dies nicht zu Einschränkungen in unserem Spielbetrieb führt. Mir ist vor allem wichtig, dass der Begriff "Burgtheater-Ensemble" wieder einen echten, unverwechselbaren Wert darstellt und dass alle, die dazugehören, auch tatsächlich stolz darauf sein können. (Margarete Affenzeller, 17.7.2018)