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Mit ihrem 18. Geburtstag drohen junge männliche Migranten und Flüchtlinge in die Obdachlosigkeit zu rutschen.

Foto: AP Photo/Petros Giannakouris

Seit Jänner sind 58,5 Prozent erwachsene männliche Migranten über das zentrale Mittelmeer nach Europa gekommen. 24,9 Prozent der Ankünfte machten Minderjährige unter 18 Jahren aus und 16,7 Prozent Frauen, schätzt das UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR). Die Hilfe in den Transit- und Aufnahmeländern konzentriert sich allerdings vor allem auf Frauen und Kinder, stellt die Hilfsorganisation Care in einem aktuellen Bericht fest.

"Das ist auch gut so", sagt Toral Pattni, humanitäre Beraterin bei Care, die die Studie beaufsichtigt hat. "Trotzdem stellten wir uns die Frage, ob wir nicht aufgrund von Vorurteilen gefährdete Flüchtlinge vergessen." Damit gemeint ist die Annahme, dass alleinreisende Männer und männliche Jugendliche gut selbst auf sich aufpassen können und deshalb nicht so viel Unterstützung benötigen wie Frauen und Kinder.

"Menschliche" Kontrollen gefordert

Dabei stellte die Hilfsorganisation fest, dass es große Probleme in der Betreuung von alleinreisenden männlichen Flüchtlingen gibt, die nicht adäquat bekämpft werden. So werden Männer öfter während ihrer Flucht von Sicherheitsbeamten belästigt. "Wir wollen den Staaten natürlich nicht vorschreiben, wie sie ihre Sicherheitspolitik gestalten", sagt Pattni. "Es ist klar, dass es Kontrollen geben muss. Aber diese müssen menschlich und dürfen nicht degradierend sein."

Männliche Migranten und Flüchtlinge dürfen nicht arbeiten und verlieren somit einen sinnstiftenden Teil ihres Selbst. Auch ihre Unterkunftssituation ist schwierig: Im Libanon leben etwa 45 Prozent aller Geflüchteten bei Einheimischen zur Untermiete. Männer finden dabei nur schwer einen Platz, wenn sie allein unterwegs sind.

Sexarbeit und Obdachlosigkeit

Auch in Griechenland stellte Care fest, dass jugendlichen Migranten und Flüchtlingen mit ihrem 18. Geburtstag die Obdachlosigkeit droht. Dann müssen sie die Unterkünfte für unbegleitete Minderjährige verlassen und werden in eines der überfüllten Lager überstellt. Aufgrund von Gewalt und dem Konfliktpotenzial zwischen den unterschiedlichen Nationalitäten und Religionen tauchen sie oft unter.

Wegen des Arbeitsverbots prostituieren sie sich dabei oft selbst. Das kann zu einer weiteren Belastung führen, weil ihr angelerntes Bild des starken heterosexuellen Mannes dadurch zerstört werde. "Sexarbeit ist auch unter Männern mit großer Scham behaftet", sagt Pattni. Dabei seien sie genauso wie Frauen der Willkür und Gewalt ihrer Kunden ausgeliefert.

Wissensdurst und Lethargie

Care hat gemeinsam mit dem lokalen Partner Praksis in Griechenland eine Einrichtung für die besonders gefährdete Gruppe der 18- bis 22-Jährigen eingerichtet. Die Unterkunft wird auch von der EU-Kommission unterstützt. Dabei ließen die jungen Männer oft erkennen, dass sie wissbegierig und an Aktivitäten interessiert seien, heißt es in dem Bericht der Hilfsorganisation. Gleichzeitig seien sie aber lethargisch, was auf frühe Anzeichen für Depression hindeute.

"Es ist schwer, für Projekte Geld zu sammeln, die alleinreisende Männer unterstützen", sagt Pattni. "Aber dadurch, dass man sie vernachlässigt, werden viele Probleme so groß, dass sie nur schwer in den Griff zu bekommen sind." Mit dem Bericht wolle man einen Denkprozess anstoßen. "Die Hilfsorganisationen sollen sich fragen, welche Migranten und Flüchtlinge zu einer 'verletzlichen Gruppe' gehören", sagt Pattni. "Dabei darf das Geschlecht kein Vorurteil sein." (Bianca Blei, 20.7.2018)