Wien – Nach heftigen Protesten von allen möglichen Seiten geben die Koalitionsparteien in einem Punkt des Arbeitszeitpakets nach. Es soll nun doch explizit ins Gesetz geschrieben werden, dass die elfte und zwölfte Überstunde nur auf freiwilliger Basis geleistet werden muss. Ein Überblick über die wichtigsten Fragen zum aktuellen Aufregerthema.

Frage: Was hatte die Regierung zunächst in Sachen Freiwilligkeit von Überstunden geplant?

Antwort: Im Initiativantrag von ÖVP und FPÖ heißt es nur, dass die elfte und zwölfte Arbeitsstunde, die nun generell möglich gemacht werden soll, bei "überwiegend persönlichen Interessen" abgelehnt werden könnte. Was genau darunter zu verstehen ist, wurde im Entwurf nicht erläutert. Es hieß lediglich, dass per Betriebsvereinbarung "eine nähere Konkretisierung der überwiegenden persönlichen Interessen erfolgen" könnte. Ein allgemeines Ablehnungsrecht war aber nicht vorgesehen.

FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache ruderte als Erster in der Frage der Freiwilligkeit zurück.
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Frage: Wollen ÖVP und FPÖ nun die Freiwilligkeit noch präzisieren?

Antwort: Versprochen ist das. Nachdem FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache am Mittwochabend in der "ZiB 2" erklärt hatte, er sei für eine Nachschärfung offen, schwenkten am Donnerstag auch die Parlamentsklubs der Regierungsparteien ein. ÖVP-Klubobmann August Wöginger versicherte im STANDARD-Gespräch: "Es wird vor dem Beschluss im Parlament eine Klarstellung kommen." Nur wer freiwillig mehr arbeiten möchte, werde das auch tun müssen. Allerdings: Einen neuen Gesetzesvorschlag, den sich die interessierte Öffentlichkeit ansehen könnte, gibt es noch nicht. Der soll erst in den kommenden Tagen vorgelegt werden. Wöginger räumte aber ein, dass die Erstfassung "zu wenig präzise" war.

Frage: Kann ich derzeit Überstunden ablehnen?

Antwort: Ein explizites Ablehnungsrecht für den Arbeitnehmer gibt es aktuell nicht. Derzeit ist der Arbeitgeber in der Ziehung. Er darf Überstunden nur dann anordnen, wenn dem keine "berücksichtigungswürdigen Interessen des Arbeitnehmers" entgegenstehen. Nach gängiger Auslegung des Gesetzes liegt das etwa dann vor, wenn jemand ein betreuungspflichtiges Kind abholen muss. Generell muss aber immer eine Abwägung zwischen den Interessen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer erfolgen und im Einzelfall entschieden werden.

Im Netz wurde und wird fleißig Werbung für und gegen die Koalitionspläne gemacht. Die Wirtschaftskammer sorgte mit ihrem – mittlerweile zurückgezogenen – Spot (li.), laut dem der Zwölfstundentag de facto nur Vorteile hat, für Häme. Gegner der Regierung bemühen den rosaroten Panter und befürchten Einschnitte in Arbeitnehmerrechte.

Frage: Hat der Arbeitnehmer dann in der Praxis wirklich die Möglichkeit, Überstunden abzulehnen?

Antwort: Da sind sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht einig. Es gebe sicherlich einen Unterschied zwischen juristischer Theorie und gelebter Praxis, meint Christoph Klein von der Arbeiterkammer. Wenn ein Arbeitnehmer angeordnete Überstunden nicht leiste, könnte ihm das als Arbeitsverweigerung ausgelegt werden, weil in den allermeisten Arbeitsverträgen die Bereitschaft zu Überstunden vorausgesetzt wird. Somit drohe bei Ablehnung eine fristlose Entlassung.

Diese könne dann zwar bekämpft werden, zunächst ist der Job aber weg. Und selbst wenn der Arbeitnehmer vor Gericht recht bekommt, einige man sich in der Regel auf einen Golden Handshake, weil das Verhältnis zum Arbeitgeber dann meist zerrüttet ist, betont Klein. De facto führe die aktuelle Regelung daher dazu, dass Überstunden einfach gemacht werden und die Arbeitnehmer gar nicht zu beweisen versuchen, dass dem "berücksichtigungswürdige Interessen" entgegenstehen.

Der Gewerkschafter Roman Hebenstreit hält wenig von den Regierungsplänen.
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Frage: Wäre es dann nicht ein Fortschritt, wenn die Freiwilligkeit beziehungsweise die Ablehnungsmöglichkeit explizit ins Gesetz kommt?

Antwort: Die Wirtschaftskammer wollte sich dazu vorerst nicht äußern. Für Klein wäre eine Ablehnungsmöglichkeit aus juristischer Sicht schon eine Verbesserung, weil das Risiko einer Fristlosen reduziert würde. Ob sich in der Praxis etwas ändere, sei aber fraglich. Der Arbeiterkammer-Experte glaubt, dass viele Arbeitnehmer aus Rücksicht auf das Betriebsklima oder aus Angst um den Arbeitsplatz keine Überstunden ablehnen werden. Nach dem Motto: Wie oft kann ich Nein sagen, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen?

Frage: Unter bestimmten Voraussetzungen sind Zwölfstundentage auch jetzt schon möglich. Wie ist die Freiwilligkeit da geregelt?

Antwort: Wie berichtet ist der Zwölfstundentag jetzt schon möglich, wenn vorübergehend ein besonders hoher Arbeitsbedarf anfällt und ein "unverhältnismäßiger wirtschaftlicher Nachteil" droht. Möglich ist das aber nur, wenn eine Betriebsvereinbarung geschlossen wird. Der Betriebsrat kann darin die Interessen der Belegschaft, also etwa wer Überstunden machen muss, vertreten. Gibt es keinen Betriebsrat, muss die elfte und zwölfte Überstunde im Einzelfall schriftlich vereinbart werden. Zudem muss ein Arbeitsmediziner die Unbedenklichkeit feststellen. Hier gibt es also durchaus Hürden für die Arbeitgeber, die künftig wegfallen würden.

Frage: Sind ÖVP und FPÖ abgesehen vom Punkt der Freiwilligkeit noch zu Konzessionen bereit?

Antwort: Nein, alles andere bleibe unverändert, versicherte Wöginger. Die Höchstarbeitszeit wird also von zehn auf zwölf Stunden pro Tag und von 50 auf 60 Stunden pro Woche angehoben. Auch die von der Gewerkschaft kritisierte Ausweitung des Begriffs der Führungskräfte, für die das Arbeitszeitgesetz nicht gilt, auf die dritte Führungsebene soll wie geplant kommen.

Wöginger verteidigt auch die Vorgangsweise, das Gesetz ohne ordentliche Begutachtung beschließen zu wollen. Man wolle die Änderungen, die per 1. Jänner in Kraft treten sollen, jedenfalls vor dem Sommer beschließen, damit für alle Beteiligten Rechtssicherheit herrsche. Eine von der ÖVP vorgeschlagene kurze Begutachtung im zuständigen Parlamentsausschuss hatten die anderen Parteien als unzureichend abgelehnt. (Günther Oswald, 21.6.2018)