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Trotz der anlegerfreundlichen Judikatur des OGH im vergangenen Jahrzehnt gehen Anleger mit einer Klage ein beträchtliches Risiko ein.

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Es gibt kaum ein Rechtsgebiet, das die Gerichte in den letzten Jahren mehr beschäftigt hat als die Ansprüche von Anlegern aus ihren Vermögensveranlagungen; dies gilt sowohl für die Anzahl an Klagen als auch für die Rechtsfragen, die Gerichte zu klären hatten. Auslöser waren die Weltfinanzkrise und die bekannten Fälle wie Meinl European Land (MEL), Immofinanz, Amis, Madoff, AvW, Alpine oder geschlossene Fonds.

Wenngleich sich die Fälle erheblich unterscheiden, weil manchmal der Schaden durch strafrechtlich relevantes Verhalten verursacht worden ist, während sich ein andermal die Veranlagungen als Folge der Krise schlicht nicht erwartungsgemäß entwickelt haben, versuchen Anleger in allen Fällen, einen Ausgleich ihres Schadens zu erreichen. In manchen (Einzel-)Fällen waren sie erfolgreich, in anderen scheiterten sie. Welche Schlüsse können Anleger zehn Jahre nach dem Lehman-Kollaps aus der Entwicklung der Judikatur ziehen?

Wer haftet für den Schaden?

Die erste Frage für den Anleger ist, wem gegenüber er seine Ansprüche geltend macht. Da die meisten Veranlagungen über Empfehlung eines Beraters erworben werden, kommt dieser primär als Anspruchsgegner in Betracht – entweder die Bank mit ihrem Kundenbetreuer oder ein unabhängiger Vermögensberater.

Der Oberste Gerichtshof (OGH) hat hierzu in zahlreichen Entscheidungen ausgesprochen, dass der Berater dem Anleger jene Informationen erteilen muss, die er benötigt, um die Art des Produkts und die mit ihm verbundenen Chancen und Risiken zu verstehen und eine fundierte Entscheidung treffen zu können, ob er in das Produkt veranlagt. Die Aufklärung muss vollständig und richtig sein; sie muss alle für die Anlegerentscheidung wesentlichen Aspekte umfassen.

Der OGH hat den Umfang dieser gesetzlichen Aufklärungspflicht schrittweise konkretisiert. Allerdings hängen Inhalt und Umfang der Aufklärungspflicht nach der Judikatur vom Einzelfall ab, insbesondere von der Art des Produkts und der Person des Anlegers: Einem kompetenten und erfahrenen Anleger müssen weniger Informationen erteilt werden; bei ungewöhnlichen oder besonders riskanten Produkten müssen mehr Informationen gegeben werden.

Sorgfaltspflicht auch für Anleger

Die Information des Anlegers kann nicht nur mündlich erfolgen, sondern auch durch die Übergabe von Informationsunterlagen. Hat der Kunde rechtzeitig Unterlagen erhalten, die die für seine Entscheidung relevanten Informationen enthalten, kann dies seine Ansprüche ausschließen. Nach der Judikatur ist nämlich von einem Anleger zu erwarten, dass er erhaltene Unterlagen auch liest; dies ist nicht nur im Hinblick auf die eigene Sorgfalt selbstverständlich.

Veranlagungen werden häufig über einen sogenannten "Strukturvertrieb" vermittelt, bei dem sich Emittenten der Absatzorganisation eines Dritten bedienen, der die Anleger berät, so etwa die frühere AWD. Die Judikatur hat – vor allem zu Immofinanz-Klagen – ausgesprochen, dass ein Emittent, der sich eines Strukturvertriebs bedient, für dessen fehlerhafte Aufklärung haften kann, wenn er

  • konkrete Anhaltspunkte dafür hatte oder wusste, dass der Vertrieb seine Pflichten gegenüber dem Anleger nicht erfüllt; oder wenn er
  • diesen ständig mit dem Vertrieb seiner Anlageprodukte betraut und so in die Verfolgung der eigenen Interessen eingebunden hat.

Diese Grundsätze gelten auch, wenn eine Bank mit unabhängigen Vermögensberatern kooperiert, um ihren Absatz zu fördern. Falls der Vermögensberater den Anleger jedoch unabhängig von der Bank berät und der Anleger das Produkt danach über die Bank nur erwirbt, haftet die Bank nicht.

Umfassende Information

Für jedes öffentlich angebotene Produkt muss nach den Vorschriften des Kapitalmarktgesetzes (KMG) ein Kapitalmarktprospekt erstellt und veröffentlicht werden, mit dem Anleger umfassend über das Produkt informiert werden. Der Prospekt kann eine Anspruchsgrundlage bilden, wenn der Anleger durch falsche, unvollständige oder irreführende Prospektangaben zur Zeichnung einer Kapitalanlage bewegt wird.

Ansprüche können gegenüber dem Emittenten und dem Prospektkontrollor bestehen. Der Emittent haftet auch dann für die Richtigkeit und Vollständigkeit des Prospekts, wenn Anleger die Wertpapiere über einen Dritten, z. B. einen Anlageberater, erworben haben. Der Kontrollor haftet nur für die mangelhafte Kontrolle des Prospekts.

Darüber hinaus hat die Judikatur vor allem in MEL-Prozessen ausgesprochen, dass alle Personen für eine sachlich richtige und vollständige Information im Prospekt haften, die durch ihr sichtbares Mitwirken an der Prospektgestaltung einen besonderen Vertrauenstatbestand geschaffen haben – etwa der Anbieter, ein Sachverständiger oder Garantiegeber. Eine solche Haftung kann auch für sonstige Unterlagen wie Werbeprospekte und Fact-Sheets bestehen.

Schadensersatzansprüche

Ansprüche von Anlegern können auch gegenüber Wirtschaftsprüfern bestehen, wie der OGH zu Klagen von AvW-Genussscheinkäufern judiziert hat; stellt ein Wirtschaftsprüfer schuldhaft einen unrichtigen Bestätigungsvermerk aus und haben Anleger im Vertrauen auf dessen Verlässlichkeit das Produkt erworben, hat der Anleger Anspruch auf Schadenersatz. Denn ein unrichtiger positiver Bestätigungsvermerk kann potenziellen Anlegern ein verzerrtes Bild der Lage der Gesellschaft vermitteln.

Von besonderem Interesse für Anleger ist der Inhalt ihres Anspruchs und dessen Höhe. Laut Judikatur hat der Anleger Anspruch auf Naturalrestitution: Er erhält eine Zahlung im Ausmaß seines Schadens und muss im Gegenzug das Veranlagungsprodukt herausgeben.

Die Schadenshöhe ergibt sich aus der Differenz zwischen dem tatsächlichen Vermögen des Anlegers unter Einbeziehung der ungewünschten Veranlagung, über die er fehlerhaft informiert worden ist, und dem hypothetischen Vermögen mit einer seinen Wünschen entsprechenden Veranlagung. Dafür muss der Anleger vorbringen und beweisen, wie er bei richtiger Beratung veranlagt hätte. Zwar gewährt ihm die Judikatur hier eine Beweiserleichterung, dennoch scheitern manche Anleger an dieser Hürde.

Pflichtverletzung

Ansprüche aus einer fehlerhaften Anlageberatung unterliegen der Verjährungsfrist von drei Jahren; sie beginnt in jenem Zeitpunkt zu laufen, in dem der Anleger Kenntnis vom Schaden und vom Schädiger hat. Diese ist nach der Judikatur dann gegeben, wenn der Anleger erkennt, dass die erworbene Veranlagung nicht seinen Vorstellungen entspricht, er also unrichtig informiert worden ist; der Schaden besteht nämlich in der ungewünschten Zusammensetzung des Vermögens.

In einem Punkt hat der OGH eine sehr anlegerfreundliche Judikatur entwickelt, die unter Juristen umstritten ist: Bei mehreren Beratungsfehlern sei die Verjährung für jeden Fehler dann getrennt zu beurteilen, wenn der einzelne Fehler eine selbstständige Pflichtverletzung beinhaltet. Dies ist nicht überzeugend, weil der Anleger mit dem ersten erkannten Beratungsfehler den Schaden – die ungewünschte Veranlagung – kennt und er diesen daher nicht nochmals erkennen kann.

Der OGH hat seine Judikatur aber insoweit entschärft, als mehrere fehlerhafte oder unvollständige Informationen über das Veranlagungsprodukt nur eine Pflichtverletzung darstellen, sodass alle Ansprüche daraus gemeinsam verjähren.

Die Auswirkungen der Judikatur sind auch dadurch abgemildert, dass die Verjährung ausgelöst wird, wenn der Anleger Unterlagen erhält, die ihm bisher unbekannte Informationen über das Produkt enthalten; solche Papiere muss der Anleger grundsätzlich auch lesen, sodass er sich nicht darauf berufen kann, sie ignoriert zu haben.

Ausblick mit Fragezeichen

Trotz der anlegerfreundlichen Judikatur des OGH im vergangenen Jahrzehnt gehen Anleger mit einer Klage ein beträchtliches Risiko ein, weil jeder Fall eine Einzelfallentscheidung ist und die Judikatur auch zahlreiche Einwendungen anerkennt.

Da mit 3. 1. 2018 das neue Wertpapieraufsichtsgesetz in Kraft getreten ist und eine neue Rechtsgrundlage geschaffen hat, bleibt abzuwarten, wie sich die Judikatur entwickelt; für die davor vorgenommenen Veranlagungen ist noch die dargestellte Judikatur maßgeblich, deren Entwicklung jedoch noch nicht abgeschlossen ist, weil es noch viele anhängige Prozesse mit neuen Rechtsfragen gibt. (Gregor Schett, Stefan Adametz, 24.6.2018)