Wien/Graz – Die Anklage gegen zehn führende Identitäre und sieben Sympathisanten durch die Staatsanwaltschaft Graz anderem nach dem umstrittenen Paragrafen 278 (Höchststrafe drei Jahre Haft), der die Gründung und Mitgliedschaft einer kriminellen Vereinigung unter Strafe stellt, löst Kritik von unerwarteten Seiten aus. "Ich stehe sicher nicht im Verdacht, Identitäre zu mögen, aber ich beobachte mit Sorge, dass Staatsanwälte vermehrt auf Instrumente zurückgreifen, die überhaupt nicht für solche Fälle geschaffen wurden, sondern für mafiöse Strukturen", sagt SPÖ-Justizsprecher und Anwalt Hannes Jarolim dem STANDARD.

"Legistische Brücke"

Gesinnung allein werde schon zum Delikt, wenn die Mitgliedschaft für eine Anklage reiche, so Jarolim. So einen "Missbrauch des Gesetzes" sehe er auch in einem Verfahren gegen Erdogan-kritische Demonstranten in Wien.

Sie wurden nach Paragraf 278b, dem schwerwiegenderen Tatbestand der terroristischen Vereinigung (Höchststrafe zehn Jahre), angeklagt, "weil sie in der Türkei, also einem faschistoiden Regime, als Staatsfeinde gelten", so Jarolim. Das Gesetz werde oft nur "als legistische Brücke verwendet", so Jarolim. Stefan Traxler, Anwalt des Aktivisten Martin Balluch im Tierschützerprozess, der 2011 mit Freisprüchen endete, sieht das ähnlich. Die Tierrechtsaktivisten wurden damals nach Paragraf 278a, kriminelle Organisation, verfolgt, unter den auch Schlepperei, Suchtgifthandel, sexuelle Ausbeutung oder der Versuch, andere zu korrumpieren, fallen (Höchststrafe fünf Jahre).

Im Hintergrund Fäden spinnen

Auch sie wurden also schwererer Verbrechen beschuldigt als die Identitären. Traxler sieht den Paragrafen wie Jarolim oft falsch eingesetzt, doch sei er seit damals entschärft worden, und im Fall der Identitären passe er: "Für mich gehen die in Richtung Mafia, weil sie für kriminelle Zwecke im Hintergrund die Fäden spinnen."

Paragraf 278 halte auch oft als "Ermittlungsparagraf" her, weil man im Verdacht auch abhören kann. Die Identitären wurden auch der Verhetzung, Sachbeschädigung und Nötigung beschuldigt. (Colette M. Schmidt, 15.5.2018)