Viktor Orbáns Wahlsieg ist der vorläufige Endpunkt eines europäischen Machtkampfes, der im Sommer 2015 ausgebrochen ist. Der ungarische Premier reagierte auf den wachsenden Zustrom von Flüchtlingen über die Balkanroute nicht nur mit der Schließung der EU-Außengrenze, sondern auch mit verbaler und auch physischer Misshandlung. Das empörte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, die aus dieser Emotion heraus die Grenze für syrische und andere Asylwerber öffnete. Mit dem Satz "Wenn wir uns jetzt noch dafür entschuldigen müssen, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land" meinte Merkel ganz Europa. Ebenso war in Österreich die Ablehnung von Orbáns Hetze ein starkes Motiv für die Willkommenspolitik. Es war ein Kampf um die Seele Europas.

Drei Jahre später ist klar: Diesen Kampf hat Orbán gewonnen. Die vom Flüchtlingsstrom betroffenen Staaten in Mitteleuropa sind alle nach rechts gerückt. Bei der deutschen Bundestagswahl ist Merkel gerade noch davongekommen; die stärkste Oppositionskraft ist seither die AfD, deren Fremdenfeindlichkeit selbst Orbáns Fidesz übertrifft. In Österreich hat die Flüchtlingskrise der türkis-blauen Koalition eine breite Mehrheit verschafft und Sebastian Kurz zum Kanzler gemacht. In Italien, wo Hunderttausende übers Mittelmeer ins Land kamen, haben zwei populistische Parteien das Ruder in der Hand.

Als größter Fehlschlag erwies sich der EU-Plan für eine solidarische Aufteilung von Asylwerbern: Obwohl kein Land Flüchtlinge aufnahm, die es nicht wollte, genügte der Beschluss, um die Union zu spalten. Auch deshalb konnte Orbán seine Wahl triumphal gewinnen, indem er eine Invasion der Heimat an die Wand malte.

Heute sind Europas Grenzen zu; selbst Merkel hat sich Orbáns Politik des Stacheldrahts zu eigen gemacht. Doch die Bilder der Flüchtlingsmassen an den Grenzen haben sich tief in die Psyche der Menschen eingebrannt – und Europa zu einem deutlich unfreundlicheren Ort gemacht. Dies bekommen nicht nur alte und neue Zuwanderer zu spüren, sondern alle, die sich eine tolerante und liberale Gesellschaft wünschen. Das Flüchtlingsthema hat die Verfechter einer nationalistischen Identitätspolitik und einer "illiberalen Demokratie" gestärkt; der Glaube mancher, sie könnten die im Europaprojekt verankerte Offenheit nach innen auch nach außen kehren, hat weite Teile der Bevölkerung überfordert und gefährdet nun die gesamte Integration. Die Finanz- und Eurokrise hatte bei vielen den Glauben an Brüsseler Eliten und Experten erschüttert; die Massenzuwanderung hat ihnen den Rest gegeben.

Die Angst vor den Fremden, vor Muslimen, Terroristen oder auch nur Kopftuchträgerinnen ist Realität und lässt sich durch noch so vernünftige Argumente nicht bekämpfen. Aber das heißt nicht, dass Orbáns Visionen Europa dominieren müssen. Wenn es gelingt, den emotionalen Sprengsatz der Migration durch eine strikte Einwanderungspolitik zu entschärfen, dann sollte es leichter werden, die Unterstützung für jene europäischen Ziele zu erhalten, die etwa Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron propagiert. Davon würden letztlich auch jene Migranten profitieren, die schon da sind und bleiben werden.

Bei der Frage der Grenzen hat Orbán 2015 in vielem recht gehabt. Nun gilt es zu verhindern, dass seine Politik des Unrechts den Sieg davonträgt. (Eric Frey, 10.4.2018)