Dirigent Laurence Cummings über seinen Probenstil: "Ich singe die einzelnen Parts vor – das bringt mehr, als unentwegt zu reden."

Foto: Robert Workman

Wien – Wird Laurence Cummings nach bedeutenden Musikpersönlichkeiten befragt, die auf ihn einen gewissen Einfluss ausgeübt haben, kann der Brite nicht umhin, seine Großmutter zu erwähnen. Über sie kam er zur Musik. Oma habe sich nämlich das Klavierspiel selbst beigebracht. In Birmingham, wo Cummings aufwuchs, habe sie dann im Kino Stummfilme begleitet, bis diese edle Kunstform letztlich ausstarb.

In Birmingham war aber nicht nur Oma, sondern auch Sir Simon Rattle, jener Dirigent, der als Chef des Birmingham Symphony Orchestra international reüssierte und schließlich Leiter der Berliner Philharmoniker wurde. "Dessen Konzerte habe ich oft besucht", erzählt der Cembalist und Dirigent, der ab Freitag im Theater an der Wien Georg Friedrich Händels Oratorium Saul dirigieren wird.

Wegen seines Engagements für Händel darf bei Cummings besonderes Interesse fürs Barock unterstellt werden, womit ein weiterer Einfluss erhellt wird. Nämlich der von Dirigent William Christie und dessen Ensemble Les Arts Florissants. Cummings war Christies Assistent, und dessen noble Schule wird den Hang zu historisch informiertem Musizieren befeuert haben.

Mit Händel ging Cummings anfangs auf Reisen, was die Beziehung vertiefte. "Es ist lustig: Ich sehe mich nicht als Spezialisten, da ich verschiedene Stile umsetze. Aber ich war glücklich, dass meine ersten Jobs darin bestanden, als Cembalist Händel zu spielen." Da ging es um Oper, "wir waren mit einer solchen in Irland auf Tournee, es war gut fürs Experimentieren".

Die Kollegen helfen

Man habe in recht kleinen Räumen gespielt: "Ich erinnere mich an eine Aufführung, als das Publikum sehr nahe war. So nahe, dass mir eine freundliche Lady mitten in der Aufführung Schokolade anbot ..." Auf Tourneen lernte er nicht nur Händel kennen. Er trainierte auch Flexibilität und Spontaneität. Ebendiese Eigenschaften haben für den Briten, der auch Chef des Händel-Festivals in Göttingen ist, zentrale Bedeutung.

Bei allem Bemühen, dem Original durch Exaktheit nahezukommen, "geht es nicht darum, als Dirigent etwas zu diktieren. Die Kollegen bringen ihre Gedanken mit, es gilt eher, gemeinsam etwas zu entwickeln. Das Demokratische ist mir wichtig, und immer ist Kammermusik das Ideal."

Irgendwann müsse natürlich interpretiert, also entschieden werden. "Es geht schließlich darum, die Botschaft der Musik nicht zögerlich rüberzubringen." Improvisation spiele zwar auch eine Rolle. "Es ist aber eher das Gefühl der Improvisation, das ich zu vermitteln versuche. Ich animiere die Sänger, sich vorstellen, sie würden die Musik im Augenblick komponieren. Das bringt ein Gefühl von Frische. Dies ist wichtiger, als nur nett zu dem zu sein, was geschrieben steht."

Bei Proben wird Cummings zum Orpheus: "Ich singe die einzelnen Parts vor – das bringt mehr, als unentwegt zu reden. Es ist auch wichtig, den Musikern bildhafte Vorstellungen zu geben – so wie es etwa Nikolaus Harnoncourt tat." Cummings ist auch überzeugt, dass die Atmosphäre insgesamt mitgestaltet. "Ich glaube daran: Das Publikum arbeitet mit, es ist ein Teil des Ganzen. Auch als Dirigent bist du eher ein kleines Rad in dieser großen Maschine."

Wichtig ist für ihn auch der Beitrag des Regisseurs: "Claus Guth setzt Saul sehr detailliert, sehr psychologisch um. Dieses Stück handelt ja vom Wahnsinn und von menschlichen Abgründen. Das macht es auch durchaus zeitgemäß und relevant – in so politisch schwierigen Zeiten. Da ist ein Despot, der schreckliche Entscheidungen trifft. Er reagiert wie ein Kind, hat aber viel Macht. Es ist alarmierend." So wie Claus Guth das umsetzt, beeinflusst es jedenfalls "die Stimmungen und damit das Spiel und auch die Art des Singens". Und dies hilft, findet Cummings. "In der Barockmusik musst du viele Entscheidungen treffen, da wenig notiert ist." Guth liefert quasi Entscheidungshilfe. (Ljubisa Tosic, 14.2.2018)