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Das Wiener Wahrzeichen Prater mit Riesenrad nach dem Zweiten Weltkrieg: "Die Stadt liegt in Trümmern. Die einstige Prachtmetropole wurde zur Ruine."

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Ab 1948 war Lothar Regisseur am Burgtheater und Direktoriumsmitglied bei den Salzburger Festspielen.

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Ernst Lothar, "Die Rückkehr". € 26,80 / 432 Seiten. Zsolnay-Verlag, Wien 2018

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Doron Rabinovici, 1961 in Tel Aviv geboren, lebt seit 1964 in Wien. Er ist Schriftsteller und Historiker.

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Der Roman Die Rückkehr erschien 1949. Im selben Jahr wurde er auch unter dem Titel The Return to Vienna in New York veröffentlicht. Noch im Exil – und in englischer Sprache – hatte Ernst Lothar die Arbeit daran begonnen und in Wien fertiggestellt. In den USA war sein berühmtestes Buch Der Engel mit der Posaune entstanden, das später die Vorlage für den gleichnamigen Film liefern sollte und das 1944 zuerst als The Angel With The Trumpet verlegt worden war. Lothar schrieb für zwei Welten und in zwei Sprachen. Er war ein Schriftsteller der doppelten und beiderseits gespaltenen Identität.

Die Rückkehr sollte bei weitem nicht so erfolgreich sein wie Der Engel mit der Posaune. Kein Wunder: Geschildert wird das Heimkommen in ein Land, das es so nicht mehr gibt. Die Stadt liegt in Trümmern. Die einstige Prachtmetropole wurde zur Ruine. Alles ist grau und heruntergekommen. Die Menschen hingegen, obgleich hohlwangig, abgemagert und verheert, kommen einem weniger verändert entgegen, als einem lieb ist. Sie haben ihre alten Ressentiments nicht abgelegt. Die Rückkehr ist kein Triumphzug und keine Wiederauferstehung verlorenen Glücks. Die Rückkehr wird nicht zur Heimkehr, sondern zur Heimsuchung.

Am eigenen Leib erlebt

Was Felix von Geldern, der Hauptheld, durchleiden muss, war dem Schriftsteller Ernst Lothar nicht fremd. Lothar erfuhr, was er schilderte, am eigenen Leib. In seinen Erinnerungen Das Wunder des Überlebens beschrieb Lothar die Ambivalenz, die er, der Exilant, gegenüber Österreich empfand. Er erzählte von der Sehnsucht nach der heimischen Kultur und Natur. Er verfiel in seiner Rückschau nicht selten dem Pathos und dem Kitsch. Aber Lothar erwähnte hier auch die Ablehnung, die ihm, dem Vertriebenen, der nun zu den Siegern gehörte, von den Landsleuten entgegenschlug.

In seinen Memoiren spricht er kaum aus, was gleichwohl fast alle seine Leser wissen: Er war – anders als sein Protagonist Felix von Geldern – jüdischer Herkunft. 1890 in Brünn geboren, kam Lothar als Gymnasiast mit der Familie nach Wien. Noch studierte er Jus, da veröffentlichte er schon seinen ersten Lyrikband. Sein Bruder, der damals gefeierte Burgtheaterautor Hans Müller, half ihm, einen Verlag zu finden.

1914 promovierte Lothar zum Doktor der Rechte, heiratete im selben Jahr und musste sogleich in den Krieg. 1917 wurde er Staatsanwalt im oberösterreichischen Wels, dann Berater im Handelsministerium, und bald stieg er, inzwischen Vater zweier Mädchen, zum Präsidialchef auf. Er war an der Gründung der Wiener Messe beteiligt, wurde zum Sektionschef ernannt, widmete sich jedoch weiterhin dem Schreiben und veröffentlichte seine frühen Werke. Er gehörte zu den Initiatoren der Salzburger Festspiele. 1925 schied er als Hofrat aus dem öffentlichen Dienst aus. Er war Schriftsteller, wurde Kulturkritiker der Neuen Freien Presse, Präsident des Gesamtverbandes Schaffender Künstler Österreichs, dann auch Gastregisseur am Burgtheater. Ab 1935 leitete er – im Einvernehmen mit Max Reinhardt – das Theater in der Josefstadt.

Wunderwuzzi

Er war ein Wiener Wunderwuzzi, eine Größe des Kulturbetriebs, die zugleich literarische Erfolge feierte. Seine Trilogie Macht über alle Menschen erreichte ein breites Publikum. Sein Roman Der Hellseher, 1928 erschienen, wurde von Thomas Mann begeistert gelobt: "Ernst Lothar wird viel Ehre davon haben, oder die Welt müsste ganz auf den Hund gekommen sein." Wie recht sollte Thomas Mann doch mit seinem Urteil haben, denn die Welt war bald schon ganz auf den Hund gekommen, weshalb solche wie Ernst Lothar von einem Tag zum anderen verfemt waren und flüchten mussten. Er entkam der Vernichtung. Seine zweite Frau, die große Schauspielerin Adrienne Gessner, hätte in Österreich bleiben können. Sie verließ das Land trotz ihrer Bühnenkarriere und alleinig seinetwegen.

In seinen Erinnerungen will Lothar nicht der Verfolgte sein, sondern vor allem den politischen Gegner der Nazis geben. So ganz falsch war das auch nicht. Er hatte sich bereits früh gegen jegliche Zensur von Kunst, gegen politische Milizen, gegen die Gefahr des Bürgerkriegs und für die Legalisierung der Homosexualität eingesetzt. Gemeinsam mit 24 anderen Schriftstellern unterzeichnete er 1933 eine Protestresolution gegen die kulturelle Hetzjagd in Deutschland. Wie etliche andere setzte er gegen den Nationalsozialismus auf die österreichische Diktatur im Ständestaat.

Er trauerte der habsburgischen Vielvölkermonarchie nach, und von dieser Sehnsucht nach dem zerfallenen Reich redete er schon, als er um das Jahr 1920 Sigmund Freud aufsuchte. Ernst Lothar arbeitete damals als Beamter des Handelsministeriums in der Berggasse just gegenüber der Freud'schen Wohnung und Praxis. "In Österreich habe ich mich nicht getäuscht. Es ist das einzige Land, wo ich leben kann", erklärte Lothar. – "Es ist ein Land, über das man sich zu Tod ärgert und wo man trotzdem sterben will", entgegnete Freud, der damals noch nicht voraussehen konnte, dass er im Alter aus der Heimat gejagt werden sollte und gezwungen sein würde, die letzten Tage in der Fremde zubringen zu müssen.

"Fliehen hat etwas Beschämendes, und wer einen Stolz hat, spürt das", stellte Lothar in seinen Memoiren fest. Diese Schmach wirkte auch nach 1945 weiter und wurde durch die Ressentiments, auf die er im Nachkriegsösterreich stieß, noch verstärkt.

Heimweh nach Österreich

Wen wundert's deshalb, wenn der Wunsch, gar nicht als rassistisch Verfolgter vertrieben worden, sondern aus freien Stücken in die Emigration gegangen zu sein, im Roman Die Rückkehr so überdeutlich durchschlägt. Die Hauptfigur Felix von Geldern ist aus aristokratischem Haus. Er musste nicht um sein Leben rennen. Nur ein Teil seiner Familie gilt als jüdisch. Felix verließ das Land allein, weil ihm unerträglich war, Deutscher zu werden. Felix hatte jene Wahl, über die sein Autor nie verfügte, und er kehrt nach dem Krieg bloß zurück, weil er in einem kurzen Aufenthalt die Geldgeschäfte der Familie regeln soll.

Felix lebt im Zwiespalt. Bürger der USA will er sein, doch kaum ist er es, befällt ihn das Heimweh nach Österreich. Er schwankt nicht nur zwischen den beiden Ländern, sondern auch zwischen zwei Frauen. Der Amerikanerin fühlt er sich verbunden und zu Dank verpflichtet. Erst als er sie mit dem Schiff zurückgelassen hat, telegrafiert er ihr seinen Heiratsantrag. Aber alle Versprechen sind vergessen, als er Gertrud, seine erste große Liebe, die er tot glaubte, in Österreich wiederfindet. Ein Bühnenstar, eine Wienerin, die nicht mit ihm ins Exil gegangen war, sondern sich – als Scharführerin beim BDM – den Nazis an den Hals geworfen hatte, um nun als Geliebte eines US-Offiziers zu reüssieren. Aber Felix verzeiht ihr, und erst nach der Hochzeit bricht das wechselseitige Misstrauen zwischen ihnen aus, das in eine Katastrophe führt.

Außenseiter

Die Rückkehr zur Frau, die ihn einst verriet, kann nicht erfolgreich sein. In der Heimat, die ihn verstieß, wird er der Außenseiter bleiben, der er seit jeher war. Der Roman bleibt ambivalent: Die Nazis, ihre Mitläufer, auch die Alliierten, die längst schon in den neuen Konflikt zwischen Ost und West verstrickt sind, ja, selbst die einst Verfolgten werden in ihrem Grimm, in ihrer Bitterkeit, doch ebenso in ihrer Harmoniesucht und Nostalgie dargestellt.

Was an dem Text heute fasziniert, ist wohl vor allem das, was schwer zu ertragen war, als das Buch erschien: die Darstellung des verheerten Österreich, die Trümmerstadt Wien, die Ruinen, aus denen sich ein Mauerteil löst und ein Kind erschlägt. Zerstörter noch als die Gebäude sind zudem die Menschen. Felix soll als Zeuge gegen einen Naziverbrecher aussagen, doch niemand scheint die Verurteilung des Täters wirklich zu wollen, und es ist Felix, der Exilant, der unversehens auf Misstrauen und Hass stößt. Die finanziellen Angelegenheiten seiner Familie bleiben unerledigt.

Lothar kannte genau, was er beschrieb. Bei seiner Ankunft nahm er die Straßenbahn ins Zentrum: ">Ami go home!< schrie ein Halbwüchsiger, als wir ausstiegen. Wir waren wieder da", resümierte er. Der alte Hausdiener im Bristol begrüßte den Heimkehrer mit den Worten: "Net amal den Heinrichshof, wo der Herr von Slezak g'wohnt hat, ham s' stehen lassen, die Amerikaner – dös Bombenschmeiß'n war do nix wia a Barbarei!" Worauf Lothar bemerkt: "Ich hätte sagen sollen: Es war die Konsequenz der Barbarei! Doch ich sagte dem Herrn Steindl gute Nacht."

"Gemischte Gefühle"

Der Autor blendete nicht aus, was ihm grell entgegentrat, doch er machte kein Aufsehen daraus. Er schaute darüber hinweg. "Leiden S' in Amerika auch so unter den Juden", wurde er unversehens gefragt. Lothar scheute nicht davor zurück, seine Meinung kundzutun, wenn er darum gebeten wurde: "Der Antisemitismus herrsche nach wie vor. Dass sechs Millionen Juden ermordet worden waren, seien die sieben Millionen Österreicher, vermutlich sogar die ganze Welt, im Begriffe zu vergessen; sie nähmen es übel, daran erinnert zu werden, es gelte als taktlos. Zwar ziehe der Antisemitismus momentan die Krallen ein und drapiere sich mit Alibis, da mitunter kleinere Posten in nicht arische Hände kämen; auf die entscheidenden würden Juden grundsätzlich nicht oder nur mit äußerstem Widerstreben berufen. Nach Rückkehrern, obschon man es offiziell nicht zugab, bestehe kein Verlangen, anerkannten am wenigsten; man wolle unter sich bleiben und sein angegriffenes Gewissen schonen."

Die Sätze finden sich ähnlich im Roman Die Rückkehr. Felix von Geldern berichtet von den "gemischten Gefühlen". Er sei mit ungeheuren Erwartungen nach Österreich gereist und habe es mit ebensolchen Enttäuschungen wieder verlassen. Wie groß waren erst die Hoffnungen von Ernst Lothar gewesen? Österreich blieb für ihn der politische und persönliche Schlachtruf gegen Hitlers Deutschland. Gemeinsam mit Raoul Auernheimer gründete er 1940 das Austrian Theatre in New York. Er war Mitglied des Austrian National Committee. In den Zeitschriften Austro American Tribune und Aufbau schwärmte er von der Kunst der alten Heimat.

Wien müsse das neue deutsche Geisteszentrum werden, denn "der österreichische Kulturbegriff ist dem Andachtsbegriff nahe; der deutsche dem Machtbegriff". Österreichs Kultur sei prinzipiell demokratischer, meinte Lothar, als hätte es die Diktatur des Ständestaats nie gegeben und als wäre der in Braunau gebürtige Hitler ein geborener Preuße gewesen. Der Schriftsteller Berthold Viertel erteilte Lothars Ausführungen eine klare Abfuhr, wobei er Verständnis äußerte "für das Heimweh, das etwa einem Theaterlyriker die Vergangenheit nicht nur in verklärten, sondern auch veränderten Farben erscheinen lässt". Hellsichtig fügte Viertel hinzu: "Wir können nur an eine Zukunft glauben, die von den Fehlern der Vergangenheit etwas gelernt hat."

"Erfolglose Entnazifizierungsperiode"

Das Österreich, das nach 1945 entstand, sollte indes von diesem Ratschlag nichts wissen wollen. 1944 wurde Ernst Lothar zum amerikanischen Staatsbürger, um im Jahr 1946 als Theatre and Music Officer des amerikanischen Information Services Branch nach Wien zurückzukehren. Adrienne Gessner, die in der Zwischenzeit schon am Broadway spielte, gab für ihn ein zweites Mal eine Karriere auf und begleitete ihn wiederum. Was folgte, war das, was er selbst eine "kläglich erfolglose Entnazifizierungsperiode" nannte, bei der alle – auch er – versagt hätten.

Just einen der vertriebenen Künstler mit der Entnazifizierung seiner einstigen Kollegen in der Branche zu betrauen war eine zweischneidige Idee, zumal der Blick durch die persönlichen Erfahrungen mit den einzelnen Akteuren gefärbt blieb. Lothar war so manchen, die – wie etwa Paula Wessely und Attila Hörbiger – der nazistischen Propaganda in unverdrossener Bereitwilligkeit gedient hatten, persönlich verpflichtet, weil sie ihm, dem Flüchtling, geholfen hatten. Andere beschimpften ihn als "Rächer-Lothar". Von einem unbekannten amerikanischen Offizier hätte keiner besondere Milde für Helfershelfer und Nutznießer der Massenverbrechen erwartet, doch der jüdische Emigrant stand von vorneherein im antisemitisch getönten Verdacht, er suche nichts als Vergeltung.

Er trachtete nach Anerkennung

Lothar wollte jedoch vor allem an das neue Österreich glauben. Wieder Teil des heimischen Kulturbetriebs zu werden war für ihn, der die Schmach der Verfolgung durchgemacht hatte, ein Triumph. Er sollte wieder österreichischer Staatsbürger werden und später neuerlich am Burgtheater und bei den Salzburger Festspielen inszenieren. So trachtete er wohl auch nach der Anerkennung mancher Kollegen, über die er zugleich zu urteilen hatte und die wiederum seine Absolution, den Dispens des amerikanischen Offiziers aus dem jüdischen Wien, brauchten.

Das alles klingt im Roman Die Rückkehr durch. Seine erste Wiener Liebe, die Felix wiederfindet und die ihn einst im Stich ließ, hatte sich in der Zwischenzeit mit dem Reichspropagandaminister höchstpersönlich gemeingemacht. Sie war dem Verbrecher Josef Goebbels allzu nahegekommen, um ihre Bühnenkarriere voranzutreiben. Sie hatte es sich mit den Nazis gutgehen lassen, und nun muss sie erkennen, dass Felix von Geldern, der Mann, den sie einst verriet, ihr nie wieder glauben wird. In ihrer Verzweiflung dreht sie den Gashahn auf. Auch diese Szene kannte Ernst Lothar aus dem eigenen Leben nur allzu gut. Nachdem seine erste Tochter 1933 an Kinderlähmung verstorben war, fand er 1945 in New York die Jüngere der beiden bereits ohne Bewusstsein in ihrer Wohnung auf – ganz so wie sein fiktiver Felix in dem Roman. Lothar dachte wohl an seine Tochter im Exil, an die Vertriebene, die der Vernichtung entronnen war, als er über Felix und seine "Nazibraut" schrieb. Im Roman bleibt Felix jedenfalls noch verwirrter zurück, als er es schon vorher war – er weiß nicht so recht, ob er seiner Jugendliebe gegenüber zunächst allzu blind oder dann zu herzlos zu ihr gewesen war.

Gespalten ist Felix am Schluss auch, wenn es um Österreich geht. Kühl notiert er, wie wenig das Land aus der Vergangenheit lernen will, doch er sehnt sich dennoch danach und hofft auf die Heimat. Am Ende möchte er am liebsten die amerikanische Staatsbürgerschaft wieder zurücklegen, um wieder Österreicher zu werden.

Wenig Begeisterung bei Erscheinen

Kein Wunder, dass der Roman bei seinem Erscheinen 1949 nicht auf Begeisterung stieß. Den Geschichtsleugnern, den Tätern und den Nutznießern der Verbrechen sprach er zu offen an, wovon sie gar nichts mehr hören wollten. Denjenigen, deren Eltern oder Kinder ermordet worden waren, war er wiederum zu versöhnlich. Viele verstanden auch nicht jene verworrene Zwiespältigkeit des Exilanten, der sich nach einer Heimat sehnt, von der er gleichwohl weiß, dass sie schon immer nur eine Schimäre war.

Aber jetzt, Jahrzehnte später, entwickelt der Roman eine andere und eine neue Kraft. Was damals vielen zu schmerzhaft war, macht heute einen besonderen Reiz aus. Die Rückkehr lotet den Riss aus, der durch die Vertriebenen ging. Dem Exilstaat, der ihnen Asyl gegeben hatte und dessen Bürger sie geworden waren, blieben sie fremd, doch ein Abgrund trennte sie von ihrem Ursprungsland und dessen Leuten. Im Nachhinein erhellt sich, warum es kein Zurück zu dem mehr gab, was einst war.

An Heilung war nicht zu denken. Die offenen Wunden wurden nicht einmal versorgt. Das Leid der Opfer sollte negiert werden, die Schuld der Täter wurde zumeist nicht verurteilt. Wir lesen, wie die Rückkehr eine bittere Enttäuschung und eine unerfüllte Sehnsucht zugleich blieb. (Doron Rabinovici, 21.1.2018)