Toni Sailer, der Sportstar. Toni Sailer, der Filmstar. Die Vorfälle von Zakopane stören das Bild.

Foto: APA/ROBERT JAEGER

Er steht für den Wiederaufbau nach dem Krieg. Er schenkte dem Land neues Selbstvertrauen. Er gab den Menschen ein Gefühl der Zusammengehörigkeit, stärkte das Wirgefühl. Er baute das Haus Österreich fertig. Anton "Toni" Sailer war Spengler und wurde Österreichs Jahrhundertsportler. Der Kitzbüheler hatte 1956 in Cortina d'Ampezzo drei Olympiatitel (Slalom, Riesenslalom, Abfahrt) gewonnen, sie gelten Historikern als österreichisches Äquivalent zum deutschen Fußball-WM-Titel 1954. Toni Sailer, der Sportstar. Toni Sailer, der Filmstar. Ein überaus angesehener Mann.

Dringender Tatverdacht

5. März 1974. Ab diesem Tag bestand der dringende Verdacht, dass Toni Sailer in eine Gewalttat verwickelt war. In Zakopane, Polen, wo am 6. März ein Weltcupslalom stieg, wurde gegen Sailer wegen Notzucht ermittelt. Er war gemeinsam mit zwei Jugoslawen und einer 28-jährigen Polin aufs Zimmer gegangen. Bei Janina S. wurden später erhebliche Verletzungen festgestellt. Sie war eine von vielen Frauen im damaligen Ostblock, die sich bei größeren Veranstaltungen in der Hoffnung auf Westdevisen in Hotels tummelten.

Heute halten führende Funktionäre des Österreichischen Skiverbands (ÖSV) richtigerweise fest, dass Sailer, der die Vorwürfe selbst stets bestritt, nie verurteilt wurde. Die Richtigkeit einer weiteren Aussage von ÖSV-Generalsekretär Klaus Leistner, der auch 1974 bereits für den Verband tätig war, darf hinterfragt werden. "Das war keine ÖSV-Geschichte, das war eine Geschichte von Toni Sailer", sagt Leistner – obwohl Sailer 1974 als ÖSV-Direktor (entspricht dem heutigen Alpinchef) in Polen auftrat.

Verdichtete Verdachtslage

Der nun aufgetauchte Akt aus dem Justizministerium zeigt, wie Österreichs Politik monatelang beschäftigt war, Sailer einigermaßen heil aus der Angelegenheit herauszubringen. Für die Schritte der Diplomaten und Beamten gab es gute Gründe – doch waren es auch die richtigen? Vieles in dem Akt deutet auf eine verdichtete Verdachtslage hin.

Müsst ihr diese Geschichte wirklich machen? Die Frage ist den mit dem Akt befassten Journalisten von STANDARD, Dossier und Ö1 während der Recherche immer wieder gestellt worden. Ihnen selbst hat sich die Frage nicht gestellt.

Die 1970er-Jahre, eine andere Zeit. So tönt es immer wieder. Die sexuelle Freizügigkeit, die damals geherrscht, die Pantscherln, die es gegeben habe, quasi gute alte Zeit. Wie nahe die 70er dem Hier und Heute sind, zeigt sich in Debatten wie MeToo, zeigte sich auch, als Nicola Werdenigg ihre Vergewaltigung durch einen Teamkollegen öffentlich machte und bei weitem nicht nur Anerkennung erfuhr.

Die Angst vorm Ende der Karriere

Die 70er sind der Nährboden. Bis heute ist es schwierig, einen offenen und schonungslosen Diskurs über sexuelle Gewalt und Missbrauch zu führen. Opfern wird das Auf- und Anzeigen dessen, was ihnen widerfahren ist, in diesem Land oft und oft zusätzlich erschwert. Wer anzeigt, hat nicht selten zu befürchten, dass er selbst Nachteile davonträgt. Talente, die an ihrer Schule oder im Internat missbraucht wurden, müssen fürchten, dass sie plötzlich im Abseits stehen und der Traum von der großen Karriere endet. So traurig wie wahr.

Auch und vor allem deshalb muss über den Akt Toni Sailer berichtet werden. Das Opfer am 4. März in Zakopane war nicht der überaus angesehene Österreicher. Das Opfer war Janina S., eine 28-jährige Polin. (Fritz Neumann, 16.1.2018)