Sind Kampfkurse für geflüchtete Jugendliche das falsche Angebot, um sie zu integrieren? Harald Vilimsky (FPÖ) meinte vergangene Woche, diese Angebote seien "absurd".

Foto: Corn

Ronny Kokert, Kampfsportweltmeister und Besitzer der Shinergy-Studios in Wien, trainiert die "Freedom Fighters" – eine Gruppe junger Geflüchteter. Er will Vilimsky nun klagen, über die Rolle von Kampfsport könne man aber durchaus diskutieren. "Allerdings ohne zu hetzen", sagt Kokert.

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Wer die Freedom Fighters sind und wie sie trainieren – auch für die Staatsmeisterschaften – in einem kurzen Video.

Shinergy

Sind Kampfkurse der falsche Weg zur Integration von Flüchtlingen? Darüber wurde nach dem Facebook-Eintrag von FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky (FPÖ) kontrovers diskutiert. Die Vorgeschichte: Es sei "absurd", dass geflüchteten Jugendlichen kostenloses Kampftraining angeboten werde, schrieb Vilimsky und begründete das mit der Herkunft aus Kriegsgebieten und mit Straftaten von Asylwerbern. "Der Asylwerber ist hier, um Schutz zu erhalten, und nicht, um Kickbox-Medaillen zu gewinnen", erklärte Vilimsky. Grund für seine Kritik war ein Bericht in der ORF-Sendung "Wien heute" über das Engagement von Kampfsport-Weltmeister und Fitnessstudio-Betreiber Ronny Kokert.

Klage nach wie vor aktuell

Dieser bot dem FPÖ-Politiker eine Schnupperstunde in seinem Wiener Studio an, damit er sich vor Ort ein Bild machen könne. Dazu kommt es allerdings nicht – Vilimsky lehnte ab: "Ich bin nicht mehr so fit, obwohl ich früher Shotokan-Karate kampfmäßig betrieben habe", ist laut heute.at die Begründung dafür. Nachsatz: Es solle ein Angebot von Gratiskursen zur Selbstverteidigung für Frauen geben, weil diese "immer öfter Opfer von Übergriffen durch Migranten und Asylwerber" seien, zitiert ihn die Zeitung.

Kokert habe seit dem Vorfall nichts von Vilimsky gehört, sagt er dem STANDARD. "Und ich glaube auch nicht, dass das noch kommt." Dem FPÖ-Politiker gehe es nur darum, Angst zu schüren. Eine Klage wolle er gegen Vilimsky deswegen nach wie vor einbringen – momentan stelle sich nur noch die Frage, ob als Privatperson oder über sein Unternehmen.

Kampfsport zur Integration: Ja oder Nein?

Dass die Aussage des Politikers öffentlich viel Zuspruch erhielt, wundert Kokert nicht: "Ich verstehe, dass ein ganz normaler Österreicher, der noch nie in Kontakt mit Kampfsport war, da besorgt ist." Deswegen sei es extrem wichtig, darüber zu diskutieren. Per se könne man Kampfsport sicher nicht als der Integration förderlich beschreiben, meint er. "Es geht um das Wie – um den Körper und um den Geist. Ein Koch kann mit seinem Küchenmesser theoretisch ja auch jemanden umbringen." Bei seinen "Freedom Fighters" stehe das Wie jedenfalls im Mittelpunkt – und auch das Miteinander, sagt Kokert. Er beschäftige sich seit Jahren mit dem Sport und auch mit der Pädagogik dahinter.

Auch im STANDARD-Forum gab es zahlreiche Beiträge von Leserinnen und Lesern zu der Frage, ob sich Kampfsport als integrationsfördernde Maßnahme eignet:

Drei entscheidende Punkte

Auch der Integrationsexperte Kenan Güngor ist der Meinung, dass sicher nicht jeder Kampfsport das Richtige für geflüchtete – aber auch für in Österreich aufgewachsene – Jugendliche sei. Das macht Güngör, der selber mehr als 30 Jahre lang Karate kämpfte, hauptsächlich an drei Punkten fest: Zunächst sei die Frage nach der Ausrichtung des Kampfsports zu stellen – ist es ein Sport mit Vollkontakt, wo die Absicht ganz klar im Kämpfen liegt? Oder sind es Disziplinen, die Selbstkontrolle fördern? Auch Güngör betont also: "Es geht um das Wie."

Daran habe zweitens der Trainer einen wesentlichen Anteil. "Diese Person ist entscheidend dafür, ob man Kämpfer heranbildet oder junge Menschen, die Kampf nur im äußersten Notfall anwenden, weil sie nach dem Motto 'Sei so stark, dass du dich zurücknehmen kannst' funktionieren", sagt Güngör. Wie man sich richtig verhält, was in schwierigen Situationen angemessen ist, Augenmaß und Ethik – all das müsse ein guter Trainer vermitteln.

Der dritte und vermutlich wesentlichste Punkt sei aber die Peer-Group – also die Personen, die den Kurs ebenfalls ausüben. Im Idealfall seien das sehr gemischte Gruppen – "über Sport finden die unterschiedlichsten Menschen ja auch zusammen. Die Herkunft kann da ausgeblendet werden", sagt Güngör.

Flüchtlinge: Immer nur Kampfkurse?

Stimmt der Eindruck, dass für geflüchtete Jugendliche großteils Kampfsportkurse angeboten werden? Das kann definitiv verneint werden. In den letzten Jahren gab es zahlreiche sportliche Initiativen für Flüchtlinge – vom Verein, der Jugendlichen die Mitgliedsbeiträge erlässt, bis zu großen, geförderten Projekten etwa vom Österreichischen Olympischen Comité: 2016 wurde dort das Projekt "Sport für Integration" gestartet, das vom Internationalen Olympischen Komitee mit 130.000 Euro unterstützt wurde. In fünf regionalen Olympiasportzentren wurden unterschiedlichste Angebote gestartet, je nach Bedürfnissen vor Ort – von Schwimmkursen bis zu einer Flüchtlingsstaffel beim Linz-Marathon. Auch ein Blick in die vom österreichischen Integrationsfonds jedes Jahr ausgezeichneten Sportprojekte zeigt die Vielfalt an Angeboten – von Frauenfußball und Frauenschwimmkursen über Leichtathletik und Rugby bis zu Skifahren und Rodeln.

Allerdings: Kampfsport übe auf viele männliche Jugendliche einen Reiz aus, sagt Güngör. "Das hat aber auch mit den Bildern und Werten zu tun, die gewöhnlich damit verbunden werden: Der starke Held – natürlich wollen das viele junge Männer sein." Es gelte deswegen, genau hinzusehen. "Ich mache mir keine Sorgen über Kampfsportkurse per se. Aber davor, dass diese Kurse von extremistischen Mächten unterwandert werden. Und damit meine ich Islamisten, aber auch die rechtsextreme Szene", sagt Güngör.

Was vermittelt wird

Kampfsport, der richtig betrieben werde, könne für viele Jugendliche aber eine Chance sein, etwa wenn durch den Sport vermittelt wird, wie mit einer Niederlage umzugehen ist oder wie man im Fall einer Eskalation reagieren soll. "Ich habe damals bei mir selbst gemerkt, wie viel ich durch diesen Sport gelernt habe", sagt Güngör. Bei Geflüchteten speziell werde mit Sportangeboten auch ein Stück Normalität in den Alltag gebracht und auch Selbstwirksamkeit erlebt: "Jugendliche, die sonst nichts haben, merken auf einmal: Ich kann ja etwas schaffen. Diese Selbstbestätigung ist unheimlich viel wert."

Harald Vilimsky wolle er wegen dessen Kritik also keinen Vorwurf machen. Es sei wichtig, darüber zu diskutieren, welche Angebote im Kampfsport warum integrativ wirken können. "Mein Vorwurf an ihn dreht sich um die tiefgehende Verhetzung, die er mit seiner Aussage betrieben hat." Mit seinem Verweis auf die Kriminalität habe Vilimsky geflüchtete Jugendliche kollektiv diffamiert und auch Integrationsprojekte im Allgemeinen delegitimiert. "Und da steckt ganz sicher System dahinter – deswegen ist das Verhetzung", sagt der Integrationsforscher.

Training geht weiter

Bei Kokert und seinen "Freedom Fighters" geht das Training unterdessen weiter. "Ich möchte mich nun wieder voll auf meine Burschen konzentrieren", sagt der Trainer. Diese hätten die Kritik des Politikers und den späteren Trubel mitbekommen, seien sogar zu ihm gekommen und hätten sich entschuldigt. "Sie haben gesagt, dass es ihnen leidtut, dass ich jetzt wegen ihnen Ärger habe. Ich habe ihnen dann erklärt, dass ich das natürlich nicht so sehe." (Lara Hagen, 17.1.2018)