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Der 21-jährige Norweger Sander Sagosen gilt als größtes Talent seit dem französischen Jahrhundert-Handballer Nikola Karabatic.

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Kristian Kjelling, norwegische Handball-Legende, ist nicht überrascht über den Aufstieg seines Landes zur Handball-Macht.

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Porec – Genau beziffern will Kristian Kjelling die Siegeschancen für Österreich nicht. Er formuliert es anders, ganz ohne Geringschätzung: "Ihr braucht sechs oder sieben Nikola Bilyks, um uns zu schlagen." Österreichs Handball-Nationalteam trifft bei der EM in Kroatien im abschließenden Gruppenspiel auf Norwegen (Dienstag, 20.30 Uhr, ORF Sport+), ein Sieg könnte zum Aufstieg reichen, selbst ein Unentschieden wäre viel wert. Der 13. Platz bei der EM würde einen leichteren Gegner im Playoff für die WM 2019 bringen.

Kristian Kjelling, 37, ist quasi der Andi Herzog des norwegischen Handballs, er spielte 159 Mal für das Team und schoss 615 Tore. Aktuell ist Norwegen Vize-Weltmeister, "die Spieler haben die mentale Gewissheit, dass sie Weltklasse sind. Wir erleben ein Handball-Wunder", sagt Kjelling dem Standard.

2014 besiegte Österreich Norwegen noch im WM-Playoff und fuhr nach Katar. Seitdem hat sich viel getan. Weniger bei Österreich, mehr bei den Norwegern. 2016 wurden die Skandinavier bei der EM in Polen Vierte, bei der WM 2017 verlor man erst im Finale gegen Gastgeber Frankreich. "Der Erfolg ist dem Verband und seiner Nachwuchsarbeit zu verdanken. Die Spieler arbeiten seit ihrer Jugend härter, sind jetzt schneller, stärker und ausdauernder als ihre Gegner."

Der Architekt

Der Architekt des norwegischen Handball-Wunders heißt Christian Berge, der Ex-Profi ist sechs Monate im Jahr auf Reisen, beäugt die Spieler bei ihren Vereinen. "Ein cleverer Typ und willensstark. Er hat eine bösartige Krebserkrankung überstanden, genauso wie Teamspieler Bjarte Myrhol. Sie haben um ihr Leben gekämpft, sie wissen auch, was es heißt, auf dem Feld zu kämpfen."

Berge hat innerhalb weniger Jahre aus Burschen Stars gemacht. Einer, dem die Handball-Zukunft gehört, ist Sander Sagosen, Rückraumspieler bei Paris Saint-Germain. "Er ist der nächste Nikola Karabatic. Ein Jahrhunderttalent und erst 21 Jahre alt." Kjelling betont, dass die Mentalität den Unterschied zu früher ausmacht.

"Was haben die österreichischen Ersatzspieler nach dem Weißrussland-Match gemacht? Wahrscheinlich sind sie essen und dann schlafen gegangen. Die norwegischen Bankspieler haben nach der Abendpartie gegen Frankreich noch bis nach Mitternacht trainiert", sagt Kjelling.

Norwegens Luxus

Norwegens Frauen dominieren den Handballsport seit 30 Jahren, nun holen die Männer auf. Was in Norwegen nicht anders ist als in Österreich: die Konkurrenz durch Fußball und Skifahren. Die Handball-Liga ist semiprofessionell, die Klubs kämpfen finanziell ums Überleben, es gibt einen Kampf um Hallenzeiten, weil es in Norwegen acht Monate im Jahr kalt ist. "Trotzdem wollen immer mehr Kinder zum Handball."

Bis auf zwei Spieler besteht der norwegische EM-Kader nur aus Legionären, "sie spielen zuerst in Schweden, dann in Dänemark und dann gehen sie in die deutsche Liga". Dazu leisten sich die Norweger den Luxus von 16 Betreuern, nur Gastgeber Kroatien hat mehr Physios, Mental- und Krafttrainer im Einsatz. "Das kostet uns aber viel mehr Geld, weil die Gehälter in Norwegen viel höher sind als irgendwo sonst."

Kjelling, Vater eines Sohnes und einer Tochter, TV-Analytiker und Trainer in der norwegischen Liga, traut dem Team genauso den EM-Titel zu wie Österreichs Teamchef Patrekur Johannesson. "Sie spielen nicht kompliziert, haben 16 Betreuer, wir nur vier. Trotzdem darfst du nur sieben Spieler aufstellen. Wir müssen an uns glauben." (Florian Vetter aus Porec, 15.1.2018)