Eine neue genetische Untersuchungsmethode könnte Tests wie Handwurzelröntgen obsolet machen.

Foto: HA

In Deutschland ist die Debatte über Altersfeststellungen bei als minderjährig registrierten Migranten nach einer Reihe aufsehenerregender Kriminalfälle wie den Morden in Freiburg und zuletzt in Kandel mit Tatverdächtigen, die nach eigenen Angaben jugendlich gewesen sein sollen, weiterhin am Köcheln.

Während die Unionsparteien und die SPD noch sondierten, ob sie eine Neuauflage ihrer Regierung wollen, melden sich fast täglich Vertreter der verschiedenen politischen Lager, die eine intensivere Prüfung der Altersangaben fordern.

Innerhalb der Union drängt vor allem die CSU auf eine verpflichtende Altersfeststellung, wie es sie etwa in Belgien gibt. "Wir brauchen eine strikte Regelung für eine medizinische Altersüberprüfung von allen ankommenden Flüchtlingen, die nicht klar als Kinder zu erkennen sind", sagt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Die SPD hält davon aber nichts. Er finde es richtig, dass im Zweifelsfall eine Altersprüfung angeordnet werden kann, sagt SPD-Chef Martin Schulz: "Das wird von der aktuellen Gesetzeslage ja auch ermöglicht." Wie auch immer die Koalitionsverhandlungen enden: In jedem Fall wird sich die neue deutsche Bundesregierung mit den ungeklärten Fragen befassen müssen, die durch die bisherige Vorgehensweise bei der Registrierung der Einwanderer entstanden sind.

Vor- und Nachteile der Volljährigkeit

Die Volljährigkeit als Altersgrenze ist für einheimische Heranwachsende vor allem bei Themen wie Führerschein, Wahlrecht und dem Erwerb von weiteren Rechten von Relevanz und wird daher eher herbeigesehnt – die Frage nach dem tatsächlichen Geburtstermin stellt sich nicht, da dieser im Normalfall wohldokumentiert ist. Asylwerbenden Migranten bietet jedoch die Einstufung als Minderjährige eine Reihe von Vorteilen. Sie erhalten mehr Leistungen als Erwachsene, sie werden intensiver von Sozialarbeitern, Psychologen und Lehrern betreut, zudem in speziellen Unterkünften untergebracht, Abschiebungen sind nahezu unmöglich, und nicht zuletzt gelten im Fall strafbarer Handlungen niedrigere Strafrahmen. Für sie ist nicht das Asylrecht zuständig, sondern das Jugendhilfegesetz. In diesem ist auch die Altersfeststellung in der Kompetenz der Jugendämter geregelt.

Vor allem während der Hochphase der Migrationskrise im Jahr 2015, aber auch seither kamen tausende Menschen als sogenannte unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) ins Land. Laut dem Bundesamt für Migration (Bamf) kamen von Jänner bis Oktober 2017 8.107 unbegleitete Minderjährige nach Deutschland. Ihre Zahl ist im Vergleich zu den beiden Vorjahren stark gesunken. 2015 waren es 22.255, im Jahr 2016 35.939. Das Bundesfamilienministerium gab die Zahl der UMF, die sich gegen Ende 2017 im Zuständigkeitsbereich der Jugendhilfe befanden, mit etwas mehr als 31.000 an. Wie viele davon tatsächlich jugendlich sind, kann niemand mit Bestimmtheit sagen.

Oft genug wissen die Einwanderer selbst nicht genau, wann sie geboren wurden, und die Vorlage valider Dokumente ist keine Selbstverständlichkeit. Die Überprüfung des Alters der nach eigenen Angaben Minderjährigen wird daher gemäß der gesetzlichen Regelung "mittels einer qualifizierten Inaugenscheinnahme" vorgenommen. Nur in Zweifelsfällen wird eine ärztliche Untersuchung durchgeführt.

In Österreich wurde jedenfalls bei 40 Prozent der überprüften Fälle die Volljährigkeit festgestellt, wie das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am Donnerstag erklärte.

Knochen zeigen Entwicklungsstand

Doch wie funktioniert eine Altersfeststellung auf wissenschaftlicher Basis? Ein ganzes Bündel an Untersuchungsmethoden steht hierbei zur Verfügung. Klar ist, dass der Begriff "Altersfeststellung" in diesem Zusammenhang irreführend ist. Selbstverständlich kann der exakte Geburtstermin nur mit korrekten Dokumenten eindeutig bewiesen werden. Mittels medizinischer Untersuchungen kann aber anhand des Entwicklungsstands der Wachstumsfugen bestimmter Knochen relativ genau ein Mindestalter festgestellt werden, und häufig ist das für die Überprüfung, ob die Altersangaben wahrheitsgetreu sind, mehr als ausreichend.

Die medizinischen Methoden seien zu ungenau, wird allerdings häufig von Kritikern wie den "Internationalen Ärzten für die Verhütung des Atomkrieges" angeführt: Es sei lediglich eine Altersschätzung möglich, aufgrund einer solchen Schätzung wird dann seitens der zuständigen Behörden das Alter eines betroffenen jungen Menschen fiktiv festgesetzt, schreibt die IPPNW in einer Stellungnahme. Einer der Protagonisten der IPPNW, Thomas Nowotny, ist auch Gründer der "Ärzteinitiative für Flüchtlingsrechte", die generell gegen Abschiebungen lobbyiert, wie die "Welt" berichtet. Für die IPPNW ist die Forderung nach wissenschaftlichen Prüfverfahren "gefährliche Stimmungsmache". Die Arbeitsgemeinschaft für Forensische Altersdiagnostik der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin spricht deswegen von einer radikalen politischen Gesinnung der Gegner der Altersfeststellung.

Es schalten sich auch Stimmen in die Debatte ein, die das aktuell praktizierte Prozedere verteidigen. So erklärt der Leiter des Trierer Jugendamts, Carsten Lang, seine Behörde sei für die Einschätzung des Alters von Migranten ausreichend gerüstet: "Wir haben so viel Erfahrung entwickelt, dass wir bei der Altersbestimmung grundsätzlich auf ärztliche Alterstests verzichten können."

Angst vor Strahlen

Außerdem wird kritisiert, Menschen ohne medizinische Indikation einer ionisierenden Strahlung auszusetzen. Die deutsche Bundesärztekammer lehnt deshalb eine verpflichtende ärztliche Untersuchung zur Altersfeststellung ab. "Röntgen ohne medizinische Indikation ist ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit", sagt Ärztekammerpräsident Frank Ulrich Montgomery. Nach den Regeln des Strahlenschutzes sei eine Altersfeststellung nur im Rahmen eines Strafprozesses zulässig.

Für ein Handwurzelröntgen werden 0,5 µSv (Mikrosievert) als Strahlendosis angegeben, Methoden, die genauere Ergebnisse liefern, wie ein Kieferröntgen und eine Computertomografie des Schlüsselbeins, verursachen Belastungen von 50 µSv respektive 600 µSv. Doch auch diese Werte liegen noch weit unter der Menge der natürlichen Strahlung, der jeder Mensch pro Jahr ausgesetzt ist.

Epigenetische Uhr

Eine Untersuchungsmethode, die das Argument der persönlichen Unversehrtheit obsolet machen würde, steht jedoch gerade in den Startlöchern. Wie das Magazin "Stern" berichtet, wurde im Landkreis Hildesheim erstmals eine Altersfeststellung mithilfe einer DNA-Probe durchgeführt. Die Methode orientiert sich an der sogenannten "epigenetischen Uhr". An dieser in jeder Zelle tickenden Uhr lässt sich das Alter eines Individuums nicht nur gesundheitlich unbedenklich – es ist nur ein Mundhöhlenabstrich vonnöten –, sondern auch viel präziser ermitteln als mit herkömmlichen Röntgenmethoden, von den bisher standardmäßig eingesetzten "Inaugenscheinnahmen" ganz zu schweigen. (Michael Vosatka, Birgit Baumann, 12.1.2018)