Niederschwellige Wissenschaftsvermittlung wie bei der "Kinderuni on Tour" könne laut Forschern dabei helfen, Schwellenängste vor komplizierten Wissenschaftsthemen zu mildern. Links im Bild: Clemens Nagel von der Universität Wien bei einem Kinderuni-Experiment.

Foto: APA / Kinderbüro Uni Wien / Ludwig Schedl

Wien – Sonntägliche Familienausflüge ins Museum gehören nicht unbedingt zu den typischen Freizeitvergnügungen sogenannter marginalisierter Bevölkerungsgruppen. Das ist schade, denn dort könnten die Kinder möglicherweise Neigungen und Interessen in sich entdecken, die ihnen später beim Ausbruch aus der sozioökonomischen Benachteiligung sehr behilflich sind. Bildung ist bekanntlich das Tor zur gesellschaftlichen Teilhabe.

Ob das österreichische Schulsystem mit seiner frühen Differenzierung dieses Tor für alle Kinder gleich weit öffnet, wird vielfach bezweifelt. Museen und informelle Wissensvermittlung können jedenfalls zusätzliche Eingänge schaffen. Dass solche außerschulischen Bildungsangebote oft nur die ohnehin bildungsnahen Schichten erreichen, wird zunehmend als Problem erkannt. Denn die soziale Ungleichheit wächst, und das schadet der gesamten Gesellschaft.

Inklusion durch Museen

Forscher des Zentrums für Soziale Innovation (ZSI) haben sich deshalb in einer vom Rat für Forschung und Technologieentwicklung in Auftrag gegebenen Studie mit der Frage beschäftigt, wie man am Beispiel der Stadt Wien die soziale Inklusion marginalisierter Kinder und Jugendlicher durch entsprechende Wissenschaftsvermittlung verbessern kann.

"Bei der Wissenschafts- und Technologievermittlung, wie sie von Museen und anderen Einrichtungen angeboten werden, geht es nicht nur um Information, sondern auch um soziale Werte und Kontroversen, die sichtbar gemacht und diskutiert werden können", betont Maria Schrammel, die gemeinsam mit Ilse Marschalek die Studie durchgeführt hat.

Leider nutzen gerade sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen diese Möglichkeit der gesellschaftlichen Teilhabe nur wenig. "In Experteninterviews und Elternworkshops haben wir etliche Hürden identifizieren können, die marginalisierte Familien davon abhalten, diese Bildungsangebote anzunehmen", sagt die Sozial- und Kulturanthropologin. So wissen etwa die meisten Eltern gar nicht, dass es solche Angebote für ihre Kinder überhaupt gibt.

Jugend- und Sozialarbeiter wiederum haben die Erfahrung gemacht, dass entsprechende Bildungsprojekte in der näheren Umgebung der Menschen durchaus auf Interesse stoßen. Die Orte, wo diese Projekte umgesetzt werden, seien ohne Zeit- und Kostenaufwand zu erreichen und "haben zudem keine einschüchternde Architektur, wie das zum Teil bei Museen der Fall ist", so eine interviewte Sozialarbeiterin.

Vom Geschäft zum Mini-Science-Center

Ein Beispiel für diese niederschwellige Wissenschaftsvermittlung im Grätzel ist etwa das Projekt Wissens°raum. Hier werden leerstehende Geschäftslokale für einige Wochen als Mini-Science-Center genutzt, in denen sich Kinder und Erwachsene spielerisch mit wissenschaftlichen und technischen Fragen beschäftigen können. Betreut wird das kostenlose Angebot von mehrsprachigen Vermittlern und -innen. "Schwellenängste vor komplizierten Wissenschaftsthemen konnten so gemildert, und der Bezug von Wissenschaft zur eigenen Lebenswirklichkeit konnte sichtbarer gemacht werden", so Schrammel.

Auch die "Kinderuni on Tour" richtet ihr Angebot vor allem an Kinder, die noch nie Kontakt mit Wissenschaft oder Universitäten hatten. Die Vorlesungen finden im Sommer an verschiedenen öffentlichen Plätzen in Wien, mittlerweile aber auch in ländlichen Regionen statt. Um die Zielgruppe zu erreichen, arbeiten die Organisatoren mit Parkbetreuungen oder Flüchtlingshäusern zusammen.

In Wiener Parks, Fußgängerzonen und Freibädern ist im Sommer auch das "Physikmobil" unterwegs, das Kindern mit einfachen Mitteln Lust auf naturwissenschaftliche Experimente macht. Es wird also bereits einiges getan. "Diese Angebote kommen bei der Zielgruppe sehr gut an, allerdings sind sie zeitlich begrenzt und deshalb nicht nachhaltig", so Maria Schrammel. "Man müsste sie ausbauen – aber das ist natürlich eine Budgetfrage."

Schwellenangst

Die Schwellenangst, die viele sozial benachteiligte Menschen von Museumsbesuchen abhält, wird aber nicht nur von Faktoren wie Architektur, Entfernung oder Eintrittspreis genährt. Auch subtilere Exklusionsmechanismen kommen hier zum Tragen: etwa eine mitunter wenig wertschätzende Behandlung durch das Personal, wenn sie den Kulturpass vorweisen, mit dem sie gratis in viele kulturelle Einrichtungen gelangen. "Insbesondere die Wissensvermittler spielen hier eine zentrale Rolle, da sie im direkten Kontakt zu den Kindern und ihren Eltern agieren", betont Maria Schrammel. "Sie müssen sehr sensibel mit unterschiedlichen sozialen Gruppen umgehen können." Deshalb empfehlen die Forscherinnen auch regelmäßige Personalweiterbildungen im Bereich Diversität sowie verschiedensprachige Vermittler.

Außerdem sollten an die Zielgruppen angepasste Formate entwickelt, evaluiert und laufend verbessert werden. In diesen Prozess seien auch die Eltern einzubinden, "die ein großes Bedürfnis haben, gefragt und ernst genommen zu werden", wie die Forscherin im Rahmen der Workshops beobachten konnte. Um marginalisierte Familien überhaupt zu erreichen, müssen zudem Kooperationen zwischen Museen, Schulen, Jugend- und Sozialarbeitern, regionalen Medien oder Arbeitsmarktprojekten gefördert werden. (Doris Griesser, 12.1.2018)