Medienwissenschafter Michael Litschka.

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Die Webseite des Presserats.

Foto: presserat.at

Der Presserat, der Verein zur Selbstkontrolle der österreichischen Presse, hat unter anderem die wichtigen Aufgaben der Förderung der Pressefreiheit und der Verhinderung des Missbrauchs derselben durch Printmedien und deren Angehörige. Mangels eines gesetzlichen Auftrags und bedingt durch die Zusammensetzung der Mitglieder und Senate handelt es sich um eine selbstregulierende Institution mit Standescharakter, denn es sind ja Journalisten und Journalistinnen sowie Juristen und Juristinnen, die über Verstöße urteilen.

Die hier immer wieder auftauchende Frage ist, ob die mit dem Presserat verbundene Freiwilligkeit (kein Medium muss Mitglied werden) und Sanktionsarmut (die Urteile werden veröffentlicht, es gibt aber keine gerichtlich verhängten Strafen) ausreichen, um medienethisch legitimiertes Verhalten der Mitglieder (und auf Dauer auch der Nichtmitglieder, über die ja auch geurteilt wird, die sich aber dem Ehrenkodex der österreichischen Presse nicht unterwerfen) herzustellen.

Dazu muss man sich alternative Institutionalisierungsmodelle und die damit verbundenen Vor- und Nachteile ansehen. Als gesetzlich anerkannte Institution könnte man sich einen Presserat vorstellen, der Sanktionen gegenüber Personen oder Medienorganisationen setzen darf oder Empfehlungen an Gerichte aussprechen könnte.

Politische Einflussnahme

Dazu müsste die Organisationsform des Presserats geändert werden, sodass er direkt an Entscheidungsprozessen mitwirken kann, also etwa als Beratungsstelle, Kommission (siehe Bioethik-Kommission), Verein mit gesetzlichem Auftrag (siehe ÖGB) oder Ähnliches.

Das würde eine stärkere politische Einflussnahme ermöglichen, denn zum einen ist zu erwarten, dass in diesen Fällen Personalentscheidungen (Leitungsfunktionen) politisch mitbestimmt oder gar politisch gewünschte Personen eingesetzt werden, zum anderen, dass die neue Funktions- und Machtfülle (man denke zum Beispiel an die Möglichkeit, dass die neu geschaffene Institution über die Presseförderung mitentscheidet) zwar legal festgelegt, aber deshalb noch lange nicht legitimiert ist.

Für Letzteres ist die Zustimmung zu den vom Presserat gesetzten Regelungen aller Mitglieder und eines weiten Teils der Medienöffentlichkeit nötig. Beziehungsweise wäre die Nichtakzeptanz seiner Regeln durch eine zu hohe Zahl von Nichtmitgliedern ein klares Legitimitätsproblem. Diese Akzeptanz und weit verbreitete Mitgliedschaft kann eben nicht durch gesetzliche Verpflichtungen, sich dem Presserat zu unterwerfen, hergestellt werden, sondern bedarf eines am besten diskursiv ausgelegten Verfahrens. Nur die Bereitschaft zur Verteidigung der Regeln und Argumente vor einer unbegrenzten Öffentlichkeit (durchaus im Habermas'schen Sinn) wird eine annähernd universelle Gültigkeit und Legitimität erzeugen.

Reichweite und Einschränkung der Meinungsfreiheit

Eine weitere Frage, die durch die erwähnten alternativen Organisationsformen nicht unbedingt gelöst werden kann, ist jene der Reichweite und Einschränkung der Meinungsfreiheit. Eine mit teilstaatlicher Autorität oder zumindest mit gesetzlichen Privilegien ausgestattete Institution hat immer die Möglichkeit, Grundrechte anders auszulegen als zum Beispiel die Gerichte oder der auf Selbstbestimmung ausgelegte jetzige Presserat.

Alle Medienteilnehmer und -produzenten, auch jetzige Nichtmitglieder, würden dann auf dieses jeweilige Verständnis zum Beispiel der Meinungsfreiheit verpflichtet, ohne an der Entstehung des Verständnisses beteiligt gewesen zu sein oder (wie im Falle von Gerichtsentscheidungen) auf eine lange Tradition der Rechtsauslegung zurückblicken zu können; auch hier besteht also die Gefahr nichtdiskursiver Regelsetzungen und Sanktionsmöglichkeiten.

Abhängigkeiten

Es entsteht somit die interessante Frage, ob man die ethische Legitimität einer Institution, die durch verschiedene Verfahren hergestellt werden kann (diskursethisch, utilitaristisch, deontologisch, vertragstheoretisch et cetera), durch juristische Legalität ersetzen kann oder will. Beide Möglichkeiten erzeugen Abhängigkeiten: Während man bei ersterer die Freiwilligkeit als moralisches Incentive, aber auch als Hemmnis für die universelle Gültigkeit sehen kann und sich auf die Vernunftbegabung der Content-Produzenten und -Produzentinnen verlassen muss, begibt man ich bei letzterer unter Umständen in politische Abhängigkeiten beziehungsweise vertraut auf die Wirkweise des legalen Systems in einem Land.

Nun wissen wir aus vielen ökonomischen Forschungen, dass finanzielle Anreize, in diesem Fall zum Beispiel die Möglichkeit, über die Vergabe der Presseförderung mitzuentscheiden und damit regelkonformes Verhalten zu erwirken, funktionieren können; ein stabiles System des Vertrauens auf die Legitimität der Regeln wird aber nur ein von allen Teilnehmern akzeptierter Mindeststandard von Medienethik erzeugen. Ökonomischer und rechtlicher Druck (etwa im Sinne einer Ko-Regulierung, die den Rahmen rechtlich vorgibt, diesen aber selbstständig und frei von staatlicher Autorität befüllen lässt) sind also in diesem Sinn nur ergänzende Maßnahmen und ersparen uns die immer wieder notwendige Ethikdiskussion nicht.

Ethische Ligitimität sichern

Wenn somit alternative Organisationsformen des Presserats angedacht werden, sollte man rechtliche und ökonomische Anreize nur dann setzen, wenn die ethische Legitimität gesichert werden kann. Als Beispiel für Letzteres kann die Bioethik-Kommission in Österreich gelten.

Zwar berichtet diese an den Bundeskanzler (diese Konstruktionsweise kann, muss aber nicht übernommen werden), kann aber politische Unabhängigkeit und gesellschaftliche und ethische Glaubwürdigkeit durch folgende Merkmale signalisieren: Die Gesetzesvorschläge kommen von einer interdisziplinär zusammengesetzten und auf Zeit bestellten Kommission; es handelt sich um ein Ehrenamt; die Experten und Expertinnen sind international anerkannte Wissenschafter und Wissenschafterinnen; die Vorschläge für Gesetzesentwürfe oder -änderungen sind, wie die Erfahrung zeigt, praxisnah, gesellschaftsrelevant und auf der Höhe der Zeit, was Erkenntnisse und neue gesellschaftliche Strömungen betrifft.

Die so erwartbare ethische Legitimität könnte eine ähnlich ausgestaltete Medienethik-Kommission vielleicht auch erreichen – einen Gedanken ist dies zumindest wert. (Michael Litschka)