Seggauberg/Wien – Es war gewissermaßen der populäre Paukenschlag der ersten Regierungsklausur der türkis-blauen Bundesregierung am Wochenende im südsteirischen Schloss Seggau: Für Kinder, die im Ausland leben, soll in Hinkunft die Familienbeihilfe an das jeweilige Herkunftsland, an die dortigen Lebenshaltungskosten, angepasst werden.

Die Änderung zielt in erster Linie auf Kinder aus Oststaaten, deren Väter oder Mütter, die hier arbeiten, Anspruch auf Familienbeihilfe haben. Da das Leben in Ländern wie Ungarn oder Rumänien billiger ist, soll laut Regierungsbeschluss auch weniger Familienhilfe ausgezahlt werden.

Da die politische Argumentation auf die berechneten Einsparungen bei "Ost-Kindern" in der Höhe von mehr als 100 Millionen Euro gelenkt wurde, blieb ein Aspekt völlig unerwähnt: Es trifft auch Kinder österreichischer Eltern, die etwa im Ausland studieren oder dort zur Schule gehen.

Auch Indexierung nach oben möglich

Auf der Klausur zeigten sich vom STANDARD befragte Regierungsmitglieder perplex. Die erste Reaktion: "Nein, österreichische Kindern betrifft das nicht, da bleibt alles gleich." Der Arbeitsrechtsexperte Wolfgang Mazal, auf dessen Gutachten über die EU-Konformität der Beihilfenkürzungen sich Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) beruft, klärt im STANDARD-Gespräch auf: "Selbstverständlich sind auch österreichische Kinder betroffen. Wenn das Kind zum Beispiel in einem Hochpreisland wohnt und daher der Unterhalt höher ist, muss auch hinaufindexiert werden."

Es hätten ihn schon vor zwei Jahren, als er das Gutachten erarbeitet hatte, Eltern darauf hingewiesen, dass deren Kinder, die etwa in nordischen Staaten studieren oder zur Schule gehen, wesentlich höhere Kosten zu tragen hätten als jene in Österreich. Also müsste im Umkehrschluss Österreich hier mehr an Beihilfen abliefern, sagt Mazal, der "mehr denn je" überzeugt ist, dass eine Indexierung der Familienbeihilfe EU-konform sei.

Indexierung widerspricht laut Bundestag Unionsrecht

In einer kleinen Fußnote der 400-seitigen juristischen Grundlage für die im europäischen Primärrecht garantierte Freizügigkeit stehe, dass einer Indexierung der Familienbeihilfe, also einer Anpassung an die jeweiligen Länderbedingungen, "nichts entgegensteht", sagt Mazal.

Völlig anderes interpretiert die "Unterabteilung Europa" des Deutschen Bundestages in einer Studie die Rechtslage. Deren Fazit: Der Vorschlag, die Auszahlung des Kindergeldes für im EU-Ausland lebende Kinder so zu begrenzen, "dass allein ein existenzsicherndes Minimum auf Basis des Kostenniveaus des jeweiligen EU-ausländischen Mitgliedstaates gewährleistet wird, ist mit Unionsrecht unvereinbar".

Es verstoße gegen die Wohnortklauseln bei Familienleistungen, zudem liege "eine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit" vor. (Walter Müller, 7.1.2018)