Nochmal die Facebook-Timeline herunterscrollen, schnell Instagram checken und eine Nachricht auf What's-App beantworten: Neue Medien befördern die Prokrastination. Online erhält man das Dopamin, für das man bei großen Aufgaben erst einiges an Energie aufwenden müsste, vermeintlich sofort.

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Den Dachboden entrümpeln, einen Sprachkurs inskribieren, dreimal die Woche nach der Arbeit Sport treiben – ins neue Jahr starten viele mit guten Vorsätzen oder Vorhaben. Um Ende Dezember ernüchtert festzustellen, dass sie sie doch wieder nicht umgesetzt haben. Das liegt häufig daran, dass man mit der Umsetzung zu lange wartet. Da vergeht eine Woche, ein Monat, und bald ist das Jahr wieder vorbei.

Wissenschaftliche Schätzungen sagen, dass 80 Prozent der Menschen regelmäßig aufschieben. Das Phänomen ist also weit verbreitet – in gewissen Fällen kann es geradezu pathologisch werden. Wenn man sein Verhalten nicht mehr kontrollieren kann und es negative Konsequenzen hat, sprechen Fachleute von Prokrastination.

Psychologen der DePaul University in Chicago zufolge ist jeder Fünfte betroffen. Eine Untersuchung an der Universität Münster erklärte zehn Prozent der Studierenden zu chronischen Aufschiebern.

Facebook als Katalysator

Ob Prokrastination – die derzeit nicht offiziell als Krankheit anerkannt ist – genetisch bedingt oder erlernt ist, darüber sind sich Experten uneinig. Auf einer Konferenz wurden Hinweise darauf vorgestellt, dass sie zu 46 Prozent vererbt ist. "Allerdings spielen auch Umwelteinflüsse eine große Rolle", sagt Christina Beran, klinische Psychologin. Beispielsweise könnten der Erziehungsstil der Eltern oder Lebenskrisen das Verhalten auslösen.

Was einen prokrastinierenden Charakter ausmacht: Er kann sich nicht überwinden, lässt sich von unangenehmen Aufgaben leicht durch etwas ablenken, das momentan mehr Spaß macht. "Der Klassiker ist, dass man in der Früh aufsteht, duschen gehen möchte, davor dann aber doch noch auf Facebook surft."

Neue Medien wirken als Katalysator. Neurowissenschaftlichen Studien zufolge setzt jede eintreffende Nachricht, jeder Like im Gehirn Dopamin frei, löst kurzfristig ein gutes Gefühl aus. Online erhält man die Belohnung, für die man bei großen Aufgaben erst einiges an Energie aufwenden müsste, sofort. "Dann kommt aber der große Kater", sagt Beran.

Mit Musik aufräumen

Krankhafte Aufschieberitis hat Folgen: Sie beeinträchtigt nachweislich die Qualität der Arbeit, kann sogar zum Abbruch von Beziehungen, zu finanziellen Problemen, zum Jobverlust führen. Wer wichtige Tätigkeiten ständig vor sich herschiebt, lebt häufiger als Single und verfügt über ein geringeres Einkommen, fanden Forscher der Universitätsmedizin Mainz heraus. Prokrastination kann zudem mit weiteren psychischen Problemen wie Schlafstörungen, Ängsten, schlechtem Selbstbewusstsein oder Depressionen einhergehen. Das Wohlbefinden leidet insgesamt, wie eine der ersten Studien zu Prokrastination, veröffentlicht im Fachblatt Psychological Science, feststellte.

Aber ist Aufschieben nicht manchmal auch gesund? Weil man nachdenken, in sich gehen, Abstand gewinnen kann? "Innehalten und Prioritäten setzen ist wichtig", bestätigt Beran. Aber eben nur, wenn man in der Lage ist, seine Vorhaben anschließend auch in die Tat umzusetzen.

Damit das gelingt, gelte es, sich einen Plan zurechtzulegen und sich das Erledigen so angenehm wie möglich zu gestalten, etwa "mit Musik aufzuräumen". Außerdem rät die Psychologin, das Wort "später" aus seinem Wortschatz zu verbannen. Denn indem man "später" sagt – das meinen auch Wissenschafter der Florida State University -, streift man gedanklich bereits die Verantwortung für die Aufgabe ab.

Professionell statt ideal

Was noch gegen Prokrastinieren helfen soll: "Herauszufinden, wie lange so eine unangenehme Arbeit wirklich dauert", etwa durch ein Protokoll, sagt Beran. Mit Klienten führt die Psychologin des Öfteren sogenannte paradoxe Interventionen durch. Dabei setzt sie das Arbeitspensum absichtlich niedrig. "So merken die meisten, wie schnell die Zeit eigentlich vorbeigeht, und wünschen sich mehr." Betroffenen rät Beran, mit kleinen Schritten zu beginnen, "beim Leichtesten anzufangen". Ebenfalls entscheidend: sich nur Dinge vorzunehmen, die man wirklich umsetzen kann. Im Fokus solle "das Machbare anstatt das Ideale" stehen. Es muss also nicht gleich der Vier-Wochen-Intensiv-Sprachkurs sein – vielleicht reichen für den Anfang zwei Wochenenden. Oder zweimal pro Woche Sport.

Schließlich solle man sich von der Vorstellung zu verabschieden, "dass man alles perfekt machen kann. Professionell reicht." Sich auf wenige, für einen selbst bedeutsame Vorhaben zu konzentrieren sei besser. "Fragen Sie sich: Was ist wirklich wichtig?"