Die komplizierte Ernte der schwedischen Austern ist der Knackpunkt: Die Austern liegen in vier bis zehn Meter Tiefe und dürfen in Schweden nur händisch eingesammelt werden.

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Johan Malm knackt 30 Austern in zwei Minuten und 18 Sekunden.

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Wenn Johan Malm loslegt, muss er nicht nur der Schnellste sein – er muss auch sauber arbeiten. Auf beides kommt es an, wenn der Schwede beim internationalen Bewerb in seiner Disziplin antritt: der Weltmeisterschaft der Austernöffner. 30 Exemplare liegen dann vor ihm auf einem Tablett. Er schnappt sich eine nach der anderen und sticht sein Messer gezielt in das sogenannte Scharnier. Einen halben Zentimeter nur fährt er hinein – und klick, schon ist die Auster offen. Jetzt muss er nur noch den Muskel vom Deckel lösen, indem er die Klinge vorsichtig zwischen Boden und Muschel entlangführt.

Weniger als drei Minuten braucht Malm, um 30 Austern zu öffnen. Seine Bestzeit liegt bei zwei Minuten und 18 Sekunden. Und wenn Splitter der Schale in der Muschel liegen? Dann gibt es Abzug. Für Schnitte in das Austernfleisch ebenso. Doch mit seinen Bestzeiten hat der 33-jährige Göteborger selbst die präziseste Konkurrenz hinter sich gelassen und ist im vergangenen Jahr in Irland Weltmeister im Austernöffnen geworden. 2010 hat er den Titel schon einmal geholt.

Johan Malm ist Koch und Inhaber des Restaurants Gabriel, eines von drei Lokalen in der Göteborger Feskakorka, der "Fischkirche". Das steht über der Eingangstür dieses Fischmarkts, der tatsächlich wie eine Kirche aussieht. Seit 1874 sind Fisch und Meeresfrüchte hier Religion. "Und jede Kirche braucht einen Engel", antwortet Malm auf die Frage, warum sein Restaurant Gabriel heißt. Aus Engelsperspektive überblickt man von einigen Tischen aus die Stände des Markts, wo Fangfrisches von der frühmorgendlichen Auktion über den Tresen gehen.

Vor über 30 Jahren eröffnete Johans Vater Gunnar das Restaurant. "Seitdem hat sich kaum etwas verändert", murmelt der Göteborger hinter seinem Hipster-Bart. Johan Malm hat zwar schon in Spanien und der Dominikanischen Republik gelebt und gearbeitet, trotzdem meint er lapidar: "Zu Hause ist eben zu Hause. Ich liebe meine Stadt und wollte weiterführen, was mein Vater aufgebaut hat."

Viel Übung und Kautabak

Während Malm das erzählt, sitzt er an einem der Tische des Restaurants, vor sich eine Dose mit Kautabak und alles, was man braucht, um das Öffnen der Austern zu demonstrieren. "Das verlangt schon ein wenig Übung", sagt er und schiebt sich etwas Kautabak unter die Lippe. Sein erstes Exemplar hat er mit fünf Jahren geknackt und die Technik seither perfektioniert.

Wie er dabei vorgeht, hängt auch von der Austernsorte ab. Eine französische öffnet er anders als eine schwedische. Letztere verfügt meist über eine sehr kompakte, dichte Schale. Dass beim Knacken keine Splitter abspringen sollen, hat nicht nur ästhetische Gründe – Malm meint, die Schalenstücke würden zu sehr vom diffizilen Geschmack der Auster ablenken.

Nicht jeder kann der schleimigen Muschel etwas abgewinnen. "Die meisten Menschen, die behaupten, Austern nicht ausstehen zu können, haben noch nie welche gekostet", ist Malm überzeugt. Man müsse erst lernen, sie zu genießen. Das sei ganz ähnlich wie mit dem ersten Schluck Bier, dessen bitter-herben Geschmack nur wenige auf Anhieb schätzen.

"Am wichtigsten beim Austernessen ist, dass man nicht nur schlürft und schluckt." Das wäre ein verschenktes Geschmackserlebnis. "Austern sollte man möglichst bedächtig und langsam kauen." Je länger man das Fleisch der Muschel im Mund behält, desto intensiver wird der Geschmack: Eine Note von Salz und Meer entfaltet sich, ja sogar die Gischt und die Küste könne man erahnen und – was man beim Wein Terroir nennt – die Herkunft der Muschel erraten.

Malms Mantra für Austernesser ist wenig überraschend: Öffne sie frisch, iss sie roh! Höchstens mit ein paar Tropfen Zitronensaft. Dazu passt Champagner, ein trockener Weißwein oder ganz bodenständig ein Porter-Bier. Austern sind für Malm kein Luxusprodukt, sondern Super-Food. "Wenn sie von hoher Qualität sind, enthalten diese Muscheln alle Nährstoffe, die der Mensch braucht. Und drei bis sechs Euro für etwas, dessen Geschmack fünf bis sieben Jahre vom Meer geprägt wurde, ist nicht viel – vor allem im Vergleich zu vielen Lebensmitteln, die in Massenproduktion hergestellt werden."

Komplizierte Ernte vor der Küste

In seinem Restaurant bietet Malm dennoch mehr französische als heimische Austern an, obwohl vor der westschwedischen Küste viele zu finden sind. Nur verhältnismäßig wenige werden aber zum Verkauf angeboten. Die komplizierte Ernte ist der Knackpunkt: Die Austern liegen in vier bis zehn Meter Tiefe und dürfen in Schweden nur händisch eingesammelt werden. Zwei Brüder aus Grebbestad, einer Kleinstadt nördlich von Göteborg, verkaufen ihre Austern regelmäßig an Malm. "Es gibt nur rund 2000 pro Woche, mehr nicht", sagt der Koch, der ihnen wöchentlich zwischen 600 und 1000 Stück abnimmt.

"Schwedische Austern sind die besten der Welt", meint Malm und bietet auch eine Erklärung für seine Behauptung an: Die Bedingungen für das Wachstum der Muscheln seien ideal, weil das Atlantikwasser vor Göteborg sehr kalt, sauber und nährstoffreich ist. So wachsen die Austern langsamer als in südlicheren Gefilden – bis zur Ernte vergehen zum Teil neun Jahre oder mehr. Dadurch werden sie fleischiger, sind quasi in Seewasser mariniert und intensiver im Geschmack.

Malm selbst verzehrt nur mehr äußerst selten Austern. "Ich habe mich dabei überhaupt nicht unter Kontrolle", erklärt er. "Wenn ich eine koste, muss ich 100 essen." Das klingt ganz danach, als hätte er auch in dieser Disziplin das Zeug zum Weltmeister. (Sascha Rettig aus Göteborg, 31.12.2017)