"Auch wenn die Arbeit nicht immer leicht ist, ich kann mich damit gut identifizieren. Sie hat etwas Sinngebendes und nach wie vor Herausforderndes", sagt Robert Mittasch.

Foto: Andy Urban

"Mit der Schule hatte ich damals nicht viel am Hut, die logische Konsequenz davon waren Lehre und Büroarbeit. Mit 24 bekam ich die Chance, mich auf Neues einzulassen und als Baustellenkaufmann nach Ägypten zu gehen. Das dort Angetroffene hat mich zutiefst bewegt, berührt. Um es in einem Satz zusammenzufassen: Wenn du bei all der Armut und den widrigen Bedingungen die lebensbejahende Einstellung der Menschen dort erlebst und dann zurückkommst in ein sattes, missmutig und unzufrieden wirkendes Mitteleuropa, fängst du gezwungenermaßen an zu zweifeln. Die Frage nach dem 'Wofür stehe ich?' hat sich also aufgedrängt. Die für mich logische Konsequenz aus dieser Frage war, in die Sozialarbeit zu wechseln, gelandet bin ich bei der Suchthilfe.

Rückblickend war der Wechsel gut für mich, auch wenn's nicht so ganz einfach war. Ich kann ja schwer an einem Tag der ägyptischen Eisenbahn Sicherheitssysteme für ihre Lokomotiven verkaufen und ganz ohne Grundlage am nächsten Tag jemanden dabei unterstützen, einen Weg aus seiner Drogensucht zu finden. Da braucht es neben der eigenen Hingabe an die Sache auch Professionalität. Ich habe die Sozialakademie gemacht und dann berufsbegleitende psychotherapeutische Ausbildungen, eigentlich bis heute – mit Weiterbildungen selbst in einer ständigen Reflexion zu bleiben, sehe ich als notwendig, damit meine Arbeit auch gelingen kann.

Einiges ist in die Hose gegangen

Ich will es nicht beschönigen, einiges ist auch in die Hose gegangen bei mir. Ich wollte neben der Sozialakademie auch ein Handwerk erlernen, also habe ich mich damals als Tischler versucht. Nach drei Monaten dort war ich dermaßen fertig vom Lärm, von der Kälte, von den körperlichen Anstrengungen, dass ich aufgeben musste – das hat schon gebraucht, mich in meiner Begrenztheit zu akzeptieren. Aber im Scheitern soll ja auch die Chance liegen, zu erkennen... Manchmal bekomme ich von Leuten die Rückmeldung, dass sie meinen Job nicht machen könnten. Das gilt für mich umgekehrt genauso.

Für die von mir betreuten Klienten und den Auftrag, den wir im Verein Dialog sehen (unter anderem die Reintegration suchtkranker Personen in den Arbeitsmarkt), wird es nicht leichter.

Eine Elite bestimmt

Leute, die weniger privilegiert, weniger gut ausgebildet sind, laufen zunehmend Gefahr, aus dem System herauszufallen. Wir können jetzt sagen: Das war ja eh immer schon so. Aber ich finde, es war noch nie so extrem. Kapital wird unverhältnismäßig verteilt. Eine Elite, die sich offenbar von der Realität und bewährten sozialen Normen immer mehr abhebt, bestimmt über Arbeitsabläufe und Strukturen.

Ob ich Verbesserungsvorschläge habe? Wir dürfen nicht naiv sein und erwarten, dass diejenigen, die das Sagen und das Geld haben, an dem System etwas ändern wollen. Es geht darum, dass wir uns an der Basis nicht entmutigen lassen und weiterhin im Rahmen unserer Möglichkeiten für soziale Gerechtigkeit einsetzen – und wenn es zu viel wird, auch die Courage haben aufzustehen.

Professioneller, aber ...

In den 90er-Jahren war in der Sozialarbeit noch eine Aufbruchsstimmung zu spüren, es gab mehr Möglichkeiten sich individuell einzubringen, teilweise ging es auch recht unstrukturiert zu. Mittlerweile hat sich vieles professionalisiert, und das ist gut so, aber jetzt geht das Pendel in eine andere Richtung, der ich durchaus kritisch gegenüberstehe: Vorgaben- und Regelkataloge werden größer. Externe Kontroll- und Dokumentationsinstanzen expandieren, aber die zur Verfügung stehenden Ressourcen an der Basis stagnieren.

Nach ersten Jahren als Straßendrogensozialarbeiter bei Streetwork (mein Arbeitsplatz war der damalige Szeneplatz, der Karlsplatz in Wien) habe ich in den ambulanten Bereich zum Verein Dialog gewechselt, dort bin ich nun mittlerweile seit 17 Jahren. Wir können gut wirksam sein, indem wir mit unseren multiprofessionell angelegten Angeboten die verschiedenen Bedürfnisse der Hilfesuchenden gut abdecken können. Wir beraten und betreuen Konsumenten von illegalen Drogen und von Alkohol, auch Angehörige, wir bieten viele spezielle Angebote wie Suchtpräventionsveranstaltungen, Betreuung von Personen in Haft und Anhaltezentren, wir haben Kursangebote zur Förderung von Beschäftigungsfähigkeit.

Etwas Sinngebendes

Auch wenn die Arbeit nicht immer leicht ist, ich kann mich damit gut identifizieren. Sie hat etwas Sinngebendes und nach wie vor Herausforderndes. Da finden sich Rahmenbedingungen, die für mich stimmen: die akzeptierende und wertschätzende Haltung unseren Klienten gegenüber und ein gut funktionierendes Team.

Nachfrage gibt es genug, der Betreuungsbedarf ist hoch. Wir genießen große Wertschätzung unserer Klientinnen und Klienten – wir sind auch oft die einzige Lobby, die sie haben. In den USA, wo es solche Spezialeinrichtungen wie die unsere nicht oder nur in ungenügendem Ausmaß gibt, findet dort mittlerweile in der Bevölkerung eine Durchseuchung von Schmerzmittel- und Heroinpräparat-Abhängigen epidemischen Ausmaßes statt. Was ja auch die Folge einer politischen Haltung ist, wenn der Fokus weniger auf Investitionen in das Gesundheits- und Sozialsystem liegt." (Protokoll: Karin Bauer, 24.12.2017)