London – Mehr als die Hälfte der Briten befürwortet einer neuen Umfrage zufolge inzwischen einen Verbleib in der Europäischen Union. 51 Prozent sprachen sich in einer Befragung des Instituts BMG Research für die Zeitung "The Independent" dafür aus, in der EU zu bleiben, wie das Blatt am Sonntag berichtete. 41 Prozent wollten die Union nach wie vor verlassen.

Dies ist der größte Abstand zwischen Brexit-Befürwortern und -Gegnern seit dem Referendum im Juni 2016, das mit rund 52 zu 48 Prozent für den EU-Austritt ausgegangen war.

Sinneswandel bei Nichtwählern

Der Chef von BMG sagte der Zeitung, der Umschwung sei auf einen Sinneswandel bei den damaligen Nichtwählern zurückzuführen. Wer damals abgestimmt habe, habe aber in neun von zehn Fällen seine Meinung nicht geändert. Die Befragung fand vor der Einigung von Premierministerin Theresa May mit der EU auf die Einleitung von Phase zwei der Brexit-Verhandlungen statt. Dies galt als wichtiger Etappensieg für May.

Die Premierministerin wandte sich unterdessen in der Zeitung "Sunday Telegraph" gegen ihre Kritiker: Mit der Einigung auf Phase zwei der Brexit-Gespräche habe sie bewiesen, dass "die Zweifler im Unrecht" seien, schrieb May in dem Blatt. "Wir machen Fortschritte auf dem Weg zu einem erfolgreichen Austritt aus der EU." Die jüngste Einigung stelle einen "Wendepunkt" in den Verhandlungen dar.

"Trotz all des Furors kommen wir voran", schrieb May. "Wir werden uns nicht von dieser fundamentalen Pflicht abbringen lassen, den demokratischen Willen des britischen Volkes umzusetzen."

Johnson warnt vor "Vasallenstaat" der EU

Der britische Außenminister und Brexit-Befürworter Boris Johnson sprach sich in der Zeitung "Sunday Times" dafür aus, bei den Verhandlungen mit der EU so viel wie möglich herauszuholen. Sollte Großbritannien die europäischen Verordnungen nicht abstreifen können, werde das Königreich zu einem "Vasallenstaat" der EU werden, warnte er.

May könnte unterdessen eine nächste drohende Brexit-Schlappe im Parlament aller Voraussicht nach mit einem Kompromiss verhindern: Dabei geht es um das im geplanten Austrittsgesetz genannte Datum, wann Großbritannien die EU verlassen wird. Dafür war bisher der 29. März 2019 vorgesehen.

Kompromiss bei Austrittsdatum

Viele Abgeordnete, auch Tory-Rebellen, befürchten, dass die Frist nicht eingehalten werden kann und lehnen eine Festschreibung des Datums ab. Nun hat man sich hinter den Kulissen auf einen Kompromiss geeinigt, wie britische Medien am Samstag berichteten. Der 29. März 2019 wird demnach zwar im Gesetz verankert – aber das Datum kann noch geändert werden, falls sich die Brexit-Verhandlungen hinziehen sollten.

Ein entsprechender Vorstoß dürfte in der kommenden Woche ausreichend viele Stimmen bekommen. "Der neue Änderungsantrag zeigt, wie alle konservativen Parlamentarier zusammenarbeiten können", sagte die Tory-Rebellin Nicky Morgan. Mit einer Mehrheit von nur sieben Mandaten ist Mays Minderheitsregierung sehr anfällig für Revolten.

Das EU-Austrittsgesetz soll die Geltung von EU-Recht in Großbritannien nach dem Brexit beenden. Gleichzeitig können Tausende EU-Vorschriften aus allen Lebensbereichen in nationales Recht übertragen werden, damit am Tag des Austritts kein Chaos entsteht.

Mays Niederlage im Parlament

May hatte erst am Mittwoch eine herbe Niederlage im Parlament hinnehmen müssen. Bei einer Abstimmung sicherten sich die Abgeordneten ein Veto-Recht über das Brexit-Abkommen. Tory-Rebellen hatten sich dafür mit der Opposition verbündet. Der geänderte Text des Gesetzesentwurfs zwingt die Regierung, das Abkommen über den EU-Austritt mit Brüssel durch ein Gesetzgebungsverfahren im Parlament absegnen zu lassen.

Unterdessen übte der erzkonservative Tory Jacob Rees-Mogg scharfe Kritik an der geplanten etwa zweijährigen Übergangsphase nach dem Brexit. Großbritannien dürfe keine "Kolonie Brüssels" und kein "Vasallenstaat" sein. Zuvor hatte Schatzkanzler Philip Hammond auf einer China-Reise vor Journalisten betont, dass die Übergangsphase "den Status quo nachbilden" werde. Obwohl Großbritannien im März 2019 aus der EU, der Zollunion und dem EU-Binnenmarkt austrete, würden noch zwei Jahre lang quasi die derzeitigen Gesetze gelten, etwa beim Handel. Der Hinterbänkler Rees-Mogg war zwischenzeitlich als möglicher Nachfolger für die politisch angeschlagene May gehandelt worden. (APA, 17.12.2017)