Um Frequentis führen zu dürfen, musste Elektrotechniker Hannes Bardach die Meisterprüfung für Radiotechnik ablegen.

Foto: Heribert Corn

STANDARD: Vor Weihnachten reißt es Sie besonders herum. Warum ist das vierte Quartal gar so wichtig in Ihrer Branche?

Bardach: Systeme müssen abgenommen werden, da drohen ja Konsequenzen, wenn etwas nicht fertig ist. Es braucht ja immer Projektabschlusstests. Auch Ausschreibungen werden finalisiert. Wir bewegen uns doch meist im behördennahen Umfeld ...

STANDARD: Und da gibt es Jahrespläne, und wenn das Geld nicht verbraucht wird, ist es weg?

Bardach: (lacht) So ungefähr. Die Welt muss am 1. Jänner wieder neu anfangen zu existieren.

STANDARD: Aber es gibt ja nicht jedes Jahr eine Jahrtausendwende wie im Jahr 2000, als man nicht wusste, ob sich die Welt danach noch weiterdreht ...

Bardach: Ich habe mir damals für unser Wochenendhaus sogar ein Notstromaggregat gekauft inklusive dualem Handy- und Telefonsystem, weil einige Kunden verlangt hatten, dass die Geschäftsführung jederzeit erreichbar ist.

STANDARD: War es dann im Einsatz?

Bardach: Alles nicht gebraucht. Aber ich hab jetzt ein Notstromsystem, das ich alle zwei Jahre zum Service bringen muss. (lacht) Aber Spaß beiseite. Es gibt Kunden, die bestellen prinzipiell zwischen Weihnachten und Neujahr. Das ist auch ein kulturelles Thema, mit der Globalisierung verschieben sich die Prioritäten. Im arabischen Raum gibt es beispielsweise keine Weihnachtsruhe.

STANDARD: Frequentis gehört zu den Pionieren in China, ist seit 22 Jahren im Reich der Mitte im Geschäft. Aktuell haben Sie fünf der sieben Kontrollzentralen geliefert, auch die Technologie für den neuen Mega-Airport in Peking kommt von Ihnen. Müssen Sie nicht fürchten, dass die Meister des Kopierens Ihr Know-how abgreifen?

Bardach: Wir werden nachgemacht, keine Frage, teilweise finden wir auf Prospekten der Konkurrenz sogar wortgleiche Texte. Aber die Kultur des reinen Nachmachens ist vielleicht nicht zu Ende, aber es ist nicht mehr im Interesse der Regierung in Peking. Es ist den Kunden mittlerweile auch zu riskant, auf Kopien oder ähnliche Produkte zu gehen. Außerdem kommen alle unsere Systeme aus Österreich, lediglich Ingenieur- und Supportleistungen werden von unserer Tochter in China durchgeführt.

STANDARD: Aber mit einer "kleinen Raubkopie" kann ein Konkurrent vielleicht ein, zwei Entwicklungsschritte aufholen und irgendwann wird er dann zum gefährlichen Mitbewerber.

Bardach: Selbst wenn Systemkomponenten abgekupfert würden: Zum Zeitpunkt, an dem dieses System in einem Tower eingebaut würde, sind wir bereits zwei Schritte voraus. Wir implementieren ja Technologien und Neuentwicklungen vom Weltmarkt. Da kann ein lokaler Anbieter nicht so einfach mit. Wir bewegen uns da im sicherheitskritischen Bereich. Wenn da was passiert, geht es gleich um Menschenleben, das will und kann sich die Weltmacht China so sicher nicht leisten. Wir versorgen aktuell rund 25 Einrichtungen in China, das jüngste Projekt ist das Flugsicherungssystem für den Beijing Daxing International Airport auf dem jährlich 130 Millionen Passagiere und 5,5 Millionen Tonnen Fracht abgefertigt werden sollen. Für diese gigantische Anlage liefern wir die Haupt- und Back-up-Systeme sowie mehrere Test- und Trainingsanlagen.

STANDARD: Frequentis ist seit Ihrem Einstieg vor 35 Jahren von einer kleinen Nachrichtentechnik-Firma zum globalen Marktführer für Flugsicherheit mit 1700 Mitarbeitern gewachsen. Ist die Expansion immer glatt gelaufen?

Bardach: Wir haben auch Lehrgeld gezahlt. Als wir unser erstes System 1995 nach Schanghai geliefert haben, machte der Verlust zirka 30 Prozent vom Auftragswert aus.

STANDARD: Was ist schiefgelaufen?

Bardach: Wir mussten ein hochstandardisiertes System liefern, in den aufstrebenden asiatischen Ländern handelte es sich oft um Greenfield-Installationen.

STANDARD: Klingt nach einfacher Übung, ein IT-System von der Stange. Was war das Problem?

Bardach: Das war neu für uns. Wir hatten vorher die deutsche, englische und französische Flugsicherung beliefert, da war viel Ingenieurleistung gefragt. Wir waren auf Individuallösungen spezialisiert, bauten Schnittstellen, damit die Migration vom alten zum neuen System reibungslos vonstattengeht, oder wir bauten bestehende Frequentis-Systeme aus. In Schanghai gab es kein altes System, alles musste neu aufgestellt werden.

STANDARD: Sie schütten seit Jahren die Gewinne nicht aus, haben eine gut gefüllte Kriegskasse. Wen oder was wollen Sie kaufen, oder ist Frequentis ein Sparverein?

Bardach: Im Moment haben wir keinen größeren Zukauf im Visier. Wir haben vor zwei Jahren mit der deutschen Softwarefirma Comsoft mit 200 Mitarbeitern den größten Zukauf in der Geschichte der Frequentis getätigt. Die Integration ist noch nicht abgeschlossen, denn es geht auch um die Erhaltung der "Frequentis-Kultur": Teamorientierung, ein gemeinsamer Spirit, den wir leben. Und das Vieraugenprinzip auf allen Ebenen. Das sicherheitskritische Denken muss in unserer Kultur fix verankert sein, das haben ja auch unsere Kunden in Fleisch und Blut.

STANDARD: Welcher Geschäftsbereich hat das größte Wachstum?

Bardach: Das ist nach wie vor die Flugsicherung, weil der Flugverkehr ständig wächst. Wenn wir zukaufen, dann auf dem Weg zu unserer Vision: Nummer eins zu werden bei Kontrollzentralen im sicherheitskritischen Bereich in unseren fünf Geschäftsfeldern – Zivile Flugsicherung, Luftverteidigung, Öffentliche Sicherheit, Eisenbahn und Schifffahrt.

STANDARD: Wohin geht die Reise, was sind die Herausforderungen?

Bardach: Bei Public Safety, also öffentlicher Sicherheit, und Polizeisystemen steigen die Anforderungen ständig. Das ist auch das einzige Geschäftsfeld, in dem wir mit Neuen Medien, Smartphones zu tun haben. Ein Notruf über SMS oder Whatsapp – das sind große Herausforderungen, denn da ist vieles noch nicht genormt. Aber es wird eine Revolution auslösen. Es gibt die Möglichkeit der Ortung über SMS und Funktionen wie diese müssen in Notrufsysteme implementiert werden.

STANDARD: Welches war Ihr schrecklichstes Geschäftsjahr?

Bardach: 2001 nach den 9/11-Anschlägen. Da brach der Markt im Hauptgeschäft Flugsicherung um die Hälfte ein. Das war hart, wir mussten rasch restrukturieren und haben die Ingenieure auf andere Bereiche verteilt, um das Know-how zu erhalten. Daraus entstand dann das zweite Standbein, Public Safety & Transport.

STANDARD: Haben Sie Chancen vertan, fehlte es an Mut zum Risiko?

Bardach: Es war für mich schon interessant zuzuschauen, wie die schwedische Firma Saab durch Akquisitionen quasi von null weg bei Towersystemen vorbeigezogen ist. Aber "Was wäre wenn?", das bringt uns nicht weiter.

STANDARD: Haben Saab oder die deutsche Rohde & Schwarz einen Vorteil, weil es in ihren Heimmärkten Rüstungsindustrie gibt?

Bardach: Ganz sicher. Wir sind von allen Firmen in diesem Bereich die mit dem kleinsten Heimmarkt. Siemens, Rohde & Schwarz oder Thales in Frankreich – alle haben große Heimmärkte, aus denen sie Kraft beziehen. Wir müssen immer sofort Muskeln trainieren, um reüssieren zu können. Aber die Neutralität hat auch Vorteile.

STANDARD: Spüren Sie das bei der Talentesuche, ist sie schwieriger?

Bardach: Ich glaube, wir in Österreich kommen da ganz gut mit. Es gibt inzwischen eine richtige Innovationskultur, nicht nur Musik und Kultur. Wir betreiben selbst ein Innovations- und Start-up-Center in der Nähe der TU Wien.

STANDARD: Stichwort Digitalisierung. Wo ist der größte Bedarf?

Bardach: Das ist für mich ganz klar: Der größte Bedarf besteht in der Ausbildung. Kinder ab vier Jahren sollten Programmieren lernen, mit acht einen Roboter steuern können, weil nur so das Denken richtig geschult wird. Es geht dabei nicht ums Surfen im Internet oder Computerspiele – die machen Kinder nicht zu Digital Natives. Es geht um die Logik, das Denken muss geschult werden. Dafür gibt es Apps, mit denen Kinder spielerisch lernen.

STANDARD: Was ist mit der Telekom-Infrastruktur? Drohen wir, da den Anschluss zu verlieren, weil Breitband zu wenig gefördert wird, wie die Industrie täglich trommelt?

Bardach: Kritisch ist es eigentlich nur im ländlichen Raum, wo sich Glasfaser nicht wirklich rechnet. In den Ballungsräumen sehe ich nicht das große Problem. Aber die Bürokratie! Unlängst habe ich mit einem Bauern diskutiert: Wenn die Anforderung eines Gütesiegels bedeutet, dass ein Bauer ordnerweise Formulare ausfüllen muss, dann läuft etwas falsch. Man muss die Bauern begeistern. Industrie 4.0 kann auch auf einem Traktor sein. Aber es ist schon richtig, Kindergärten mit Tabletcomputern ausstatten, das wird Geld kosten. (Luise Ungerboeck, 16.12.2017)