Alphabetische Ordnung statt Chronologie: Die Ausstellung "Ästhetik der Veränderung" präsentiert sich enzyklopädisch ungeordnet.

Foto: MAK/Georg Mayer

Wien – Was haben der Jugendstilkünstler Gustav Klimt und der Medienkünstler Peter Weibel gemeinsam? Was eint die 2016 verstorbene Architektin Zaha Hadid und den Wiener-Werkstätte-Baukünstler Josef Hoffmann? So unterschiedlich die Kunst ist, die sie ihrer Zeit schenk(t)en – sie sind verbunden darin, dass sie an der Universität für angewandte Kunst Wien aus- und eingingen.

Und ein Stelldichein geben sich die Genannten (nebst etlichen anderen), wenn nun "die Angewandte", wie das Haus liebevoll von Studierenden wie Lehrenden genannt wird, ihr 150-Jahr-Jubiläum begeht. Ästhetik der Veränderung heißt jene Ausstellung im benachbarten und verschwisterten Museum für angewandte Kunst (Mak), die die bewegte Geschichte dieser für die Wiener Kunst so entscheidenden Institution aufrollt. In unzähligen Exponaten entfaltet sich zunächst die Vergangenheit, schließlich blickt man aber auch in die Zukunft: Peter Weibel und der amtierende Rektor Gerald Bast zeigen unter dem Titel "150 plus dreißig" vor allem Arbeiten der digitalen Kunst. Anhand deren sollen wir über Entwicklungen in unserer sich wandelnden Zeit reflektieren.

Dieser Roboter des Kollektivs Robotlab zeichnet in der Ausstellung "Ästhetik der Veränderung" eine Landschaft. Eh schön, aber ob er uns auch ein Schaf zeichnen kann?
Foto: Robotlab

Enzyklopädische Unordnung

Am Anfang stehen indes keine Bits und Bytes, sondern Kaiser Franz Joseph. Anno 1867 erteilte dieser die Genehmigung, am vier Jahre älteren Museum für Kunst und Industrie – dem heutigen Mak – eine Kunstgewerbeschule einzurichten. Bei Weltausstellungen war ungut aufgefallen, dass es hierzulande in puncto Kunstgewerbe Nachholbedarf gab.

Ein Dekret des Kaisers steht am Beginn der Schau, die sodann jedoch fröhlich in alle Himmels- und Kunstrichtungen explodiert. Die 150-jährige Geschichte haben Elisabeth Schmuttermeier und Patrick Werkner nicht chronologisch, sondern enzyklopädisch geordnet – also nach dem Alphabet. Das heißt, dass bald nach dem A-nfang schon Joseph B-euys kommt; aber auch, dass man eine wichtige Künstlerin der Wiener Werkstätte, die Keramikerin Vally W-ieselthier, erst gegen Ende, kurz vor Heimo Z-obernig, antrifft.

Für expressive Plastiken ist Vally Wieselthier bekannt. Diese "Salome" entstand um 1938.
Foto: MAK/Georg Mayer

Mit der Zeit gegangen

Andererseits ist chronologisch geradliniges Denken eh nur etwas für Leute wie den alten Kaiser. Heute wird nicht nur interdisziplinär, sondern auch kreuz und quer zwischen den Zeiten gedacht. Geschichte will kritisch betrachtet oder zumindest "bewusstgemacht" werden. Dass die Angewandte ganz mit der Zeit geht, zeigt sich hier auch. Etwa dort, wo Josef Hoffmanns Zeichnungen des von ihm entworfenen Cabaret Fledermaus einem Architekturmodell gegenüberstehen, das die Klasse Hnizdo 2003 baute. Das schöne Modell macht die Jugendstil-Kleinkunstbühne erstmals in der ihr ursprünglich zugedachten Farbigkeit lebendig.

Malerin Maria Lassnig war in den 1980er-Jahren Professorin an der Angewandten, sie leitete die Meisterklasse für Gestaltungslehre / experimentelles Gestalten. Bild: "Selbstportrait als Blondine" (1981).
Foto: Universität für angewandte Kunst Wien, Kunstsammlung und Archiv, Inv.Nr. 2382/B; Maria Lassnig Stiftung

Produktive Verbindungen zwischen den Zeiten können Betrachter auch selbst ziehen: So sieht man am Beginn der Schau etwa den Ast einer einst von Joseph Beuys gepflanzten Eiche und trifft später auf einen Tretroller des jungen Künstlers Nico Rayf, der aus Baumästen lässige Gefährte baut.

Ökologisches Bewusstsein, Do-it-yourself-Spirit, Social Design – auch diese Begriffe einer kritischen Haltung, die dem an gesteigerten Kunstverkäufen interessierten Kaiser fernlag und sich insbesondere unter dem Rektorat Oswald Oberhubers entwickelte. Er rief das Prinzip der "permanenten Veränderung" aus. Heute gehört Ökonomie- und Sozialkritik fest zum Leitbild der Angewandten, wie sich vor allem im zukunftsgerichteten Teil der Schau zeigt.

Die Soundinstallation "Lights Contacts" (2010) des Duos Scenocosme erhöht die Lautstärke, wenn ihre Benutzer einander die Hände reichen.
Foto: Scenocosme

Gemeinsam sind wir mehr!

Hier findet sich etwa ein Diagramm, das Migrationsbewegungen abbildet. Zu sehen ist auch eine interaktive Soundinstallation, die immer lauter wird, je mehr Besucher einander bei der Benutzung berühren respektive die Hände reichen. Ob dies große digitale Kunst ist, sei dahingestellt, gut gemeint ist es allemal: Gemeinsam sind wir mehr!

Im Zukunftsteil nutzt außerdem die Klasse Digitale Kunst die Gelegenheit, ihr "Dome"-Labor vorzustellen: Diese betretbare Kuppel wird innen vollständig mit Bewegtbildern bespielt und ermöglicht dieserart besonders einsaugende Bilderlebnisse.

Eine der schönsten Arbeiten ist indes eine ganz kleine, unscheinbare: ein fragiles, dahinwaberndes Netz, das von der Decke hängt: Es überträgt den Wellengang, der an einer bestimmten Stelle des Pazifischen Ozeans gemessen wird. Sehr beruhigend. (Roman Gerold, 14.12.2017)

Als die große Welt ganz klein wurde: Marc Lees Installation "10.000 Moving Cities – Same but Different" (2010/2017) sucht aus Online-Bildarchiven wie Flickr und dem Videoportal Youtube Bildmaterial, um beliebige Städte der Welt per Projektion lebendig werden zu lassen.
Foto: Marc Lee