Manch einer hält die Solarstraße für eine "geniale Idee", andere sind vom Gegenteil überzeugt.

Foto: Braendle Stefan

Große Stille herrscht in Tourouvre-au-Perche: Man hört sogar die letzten Äpfel – neben dem Camembertkäse ein Haupterzeugnis der Normandie – von den Bäumen fallen. Auch auf der Landstraße südlich des verschlafenen Ortes fahren wenige Autos vorbei. "Da kommt man wie von selbst auf die Idee, dass eine Straße auch noch anderen Zwecken als der Fortbewegung dienen kann", meint Johnny Clatot, ein 33-jähriger Ingenieur der Firma Wattway.

Das Tochterunternehmen des Baukonzerns Bouygues erforscht und entwickelt Projekte im Bereich der erneuerbaren Energie. Es führt in ganz Frankreich Experimente durch – und in Tourouvre-au-Perche gar eine Weltpremiere: "Wir testen hier die erste solare Landstraße unter natürlichen Bedingungen."

Geniale Idee

Bei Aufnahme des Testversuchs Ende 2016 meinte die damalige Umweltministerin Ségolène Royal, es handle sich um die Umsetzung einer "genialen Idee". Die einen Kilometer lange "route solaire" liefert Strom – genug, um die ganze Straßenbeleuchtung von Tourouvre zu versorgen. Gerade scheint die Sonne, und auf einem Hinweisschild informieren Leuchtdioden, dass die Tagesproduktion momentan bei 308,8 Kilowattstunden liege. Aufs Jahr kommen 150 Megawattstunden zusammen.

Erzeugt werden sie durch Sonnenkollektoren, die auf den Asphalt geklebt sind und eine Gesamtoberfläche von 2.800 Quadratmetern abdecken. Die Vorgabe der französischen Regierung, die den Pilotversuch subventioniert, war klar: Die Solarstrecke muss wie jede normale Straße benutzbar sein. Nach einer Million Gewichts- und Abnützungstests im Labor sollen die sieben Millimeter dünnen Panels jedem 13-Tonner und jeder Witterung standhalten. "Außerdem müssen sie bei Bremsmanövern mindestens so gut abschneiden wie herkömmlicher Asphalt", ergänzt Clatot. Die Solarpaneele wurden deshalb mit Kunstharz überzogen, in die Glasklümpchen eingelassen sind. Das macht die Straße rutschsicherer als normale Beläge.

Ganz schön laut und teuer

Allerdings bringt das auch einen Nachteil mit sich. "Diese Straße ist ganz schön laut", sagt ein älterer Landwirt aus der Umgebung auf dem Vorbeiweg. Wenn ein Auto durchfährt, erinnert das Geräusch an eine Fahrt mit Spikes, Metallstollen in Reifen für Schneewetter. Beschleunigt ein Wagen auf der geraden Straße auf die Höchstgeschwindigkeit von 90 Stundenkilometern, kommen einige Dezibel dazu. "Wir arbeiten daran", meint der Ingenieur dazu. "Da die Straße von Feldern umgeben ist, wird niemand gestört."

Das größte Problem sind die Kosten. Sie liegen derzeit noch 13-mal höher als bei normalen Solaranlagen auf Hausdächern. Das Material und die Verkabelung – die alle 70 Zentimeter quadratische Einschnitte in den bestehenden Straßenbelag erforderte – belaufen sich auf über fünf Millionen Euro. "Bei einem Prototyp sind solche Kosten unvermeidlich", gibt Clatot zu bedenken. "Bei einer Serienproduktion werden massive Einsparungen möglich." Im Gegenzug fielen dafür laut dem Ingenieur Stromleitungen weg, wenn ein entfernt liegendes Dorf wie Tourouvre eine elektrische Autonomie erlange.

Gewichtiger Einwand

Skeptiker haben einen gewichtigen Einwand: Auf den brachliegenden Feldern der Normandie könnten Sonnenkollektoren bedeutend günstiger errichtet werden als auf einer Straße; und außerdem ließen sie sich schräg stellen, um den günstigsten Einstrahlungswinkel zu erzielen; die flache Solarstraße ist dazu nicht in der Lage. Thierry Régnier vom französischen "Netzwerk für die Energiewende" (Cler) hält die Solarstraßen deshalb sogar für eine "schlechte Idee".

Clatot erwidert, dass nicht überall so viel Freiraum wie in der ländlichen Normandie bestehe. In der riesigen Pariser Agglomeration etwa, wo zehn Millionen Menschen leben, sei der Raum knapp und teuer. Dort könnte die Kosten-Nutzen-Rechnung schon bald Sinn ergeben.

Die Meinungen über Sinn und Unsinn der "route solaire" gehen jedenfalls weit auseinander. Die große Klimakonferenz COP21 verlieh Wattway 2015 für das Solarstraßenprojekt schon einmal den Preis für innovative Klimalösungen. (Stefan Brändle, 12.12.2017)