Rebecca Horner tanzt in Davide Bombanas Inszenierung von "Roméo et Juliette" in der Volksoper die Mab, Königin der Träume.

Foto: Ashley Taylor / Wiener Staatsballett

Wien – Wer sich zum Auftakt des symbolträchtigen Jahres 2018 beim Neujahrskonzert von den Strapazen des Silvesterfeierns erholt, wird auch in den Genuss der Balletteinlagen des italienischen Choreografen Davide Bombana kommen. Das ist die Nachspeise zum Hauptgang, den der 58-Jährige jetzt in der Wiener Volksoper serviert, wo am Samstag sein Stück Roméo et Juliette Premiere gefeiert hat. Die Titelrollen tanzten Masayu Kimoto und Maria Yakovleva, die Musik von Hector Berlioz spielte das Volksopernorchester unter Gerrit Prießnitz.

Berlioz' Symphonie dramatique Roméo et Juliette, uraufgeführt 1839 in Paris, hat eine entscheidende Verbindung zu Wien. Denn hier im Redoutensaal wurde sie ab dem 2. Jänner 1846 unter der Leitung des Komponisten erneut zum Besten gegeben. Hector Berlioz adaptierte dafür bis zum 1. Februar auch Passagen des berühmten Scherzos "La reine Mab, reine des songes" am Schluss des zweiten Teils der Symphonie. Bei Davide Bombana wird nun Mab, die Königin der Träume – beeindruckend getanzt von Rebecca Horner -, zur entscheidenden Figur.

Rebecca Horner tanzt in Davide Bombanas Inszenierung von "Roméo et Juliette" in der Volksoper die Königin der Träume Mab.

Die "Queen Mab" taucht bereits in Shakespeares Tragödie von 1597 auf, als im ersten Akt Mercutio auf den liebestrunkenen Romeo einredet und ihn mit der Geschichte über "the fairie's midwife" aufzumuntern und gleichzeitig zu warnen versucht. Diese "angry Mab" rührt dunkle Leidenschaften auf und mischt Pech ins Glück – zum Beispiel, indem sie auf die Lippen von "ladies, who straight on kisses dream" kussdurchkreuzende Fieberblasen zaubert. Romeo im Hormonrausch unterbricht Mercutio: "Thou talk'st of nothing."

In Bombanas Roméo et Juliette tanzt dieses vermeintliche Nichts unter flackernden Irrlichtern das hinführende Solo. Spitz, tückisch, hexenhaft und dabei reizvoll wie ein Todesengel taucht Mab, oft zusammen mit vier Doubles, immer dann auf, wenn das Geschehen ins Tragische kippt. Als einzige Figur im Stück, die in Spitzenschuhen tanzt.

Paar im Hier und Heute

Bombana versetzt sein Liebespaar ausdrücklich ins Hier und Heute. Dabei stellt sich die Frage, ob das griechische Motiv der Moira als Schicksalsgöttin – dem Queen Mab eindeutig entspricht – überhaupt noch zeitgemäß ist. Im Stück beantwortet sich das wie von selbst. Denn mit Berlioz bringt der Choreograf auch das aus der griechischen Tragödie stammende Stilmittel des Chors ins Spiel.

Verkörpert vom Volksopernchor mit den Solisten Szabolcs Brickner, Yasushi Hirano und Annely Peebo, repräsentiert die Menge der Sänger sozusagen das Hintergrundrauschen einer großen Erzählung – hier: der Liebe. Gesungen wird in französischer Sprache, die dem Wiener Publikum wohl nicht durchgängig geläufig ist, was den Eindruck dieses Rauschens noch verstärkt.

Gerade im Theater und der Performance seit dem späten 20. Jahrhundert – von Einar Schleef bis Claudia Bosse – erfährt der antike Chor eine Renaissance. Er tritt metaphorisch als die Gestalt der Gesellschaft auf. So auch bei Bombana, dessen Capulets als düster kostümierte Elite auftreten und dessen Montagues als buntes Grüppchen antanzt, das vor der Truppe des Tybalt (exzellent getanzt von Martin Winter) kuschen muss.

Dem Chor entsprechend ist hier die Königin Mab eine Allegorie – und zwar eine, die vor dem Hintergrund ambivalenter sozialer Dynamiken alles vermeintlich Eindeutige ins Wanken bringt. Wer in Menschen oder Ideen verliebt oder vernarrt ist, so stellt sich bei Roméo et Juliette heraus, verliert den Blick auf die Widersprüchlichkeiten der Wirklichkeit. Darunter leidet nicht nur das ein wenig tumbe Liebespaar, sondern auch der gute Pater Lorenzo, dem Bombana im zweiten Teil seines Balletts ein langes Solo widmet. Roman Lazik walzt die Reue des Paters, der mit seiner gutgemeinten List auf peinlichste Weise gescheitert ist, mitreißend als bis in den Kitsch getriebene Passage durch ein psychisches Fegefeuer aus.

Klar gezeichnete Charaktere

Davide Bombana fächert hier also ein sehr aktuelles Themenspektrum auf, das vom Bühnenbild der vergangenen Juni verstorbenen Künstlerin Rosalie effektvoll mitgetragen wird. Die Erzählung ist leicht nachvollziehbar, die Choreografie bietet eine klare Zeichnung der Charaktere. Entsprechend begeistert klang der Premierenapplaus. (Helmut Ploebst, 10.12.2017)