Abverkauf. Schon wenn er das Wort hört, verdreht Christoph Ritschel die Augen. "Mit dieser Bezeichnung hat sich der Handel ein Eigentor geschossen", sagt er. "Wer will denn ein Möbelstück, das so angeboten wird, noch kaufen?" Der Gründer des Onlineshops Möbel First aus Köln verspricht gute Preise für eben jene Abverkaufsmöbel – oft makellose Ausstellungsstücke und Neuware, die sich nicht verkauft hat.

Ritschel kommt aus einer Möbelhändlerfamilie, er kennt die Mechanismen des Handels, und er hat eine Marktlücke entdeckt: Vielleicht gibt es ja im Norden einen Käufer für einen Stuhl, den ein Einzelhändler im Süden nicht loswird? Hinzu kommt, dass Kunden gerade in den exklusiven Läden oft Neuware kaufen, um zu zeigen, dass sie es sich leisten können. Entsprechend stiefmütterlich fristen die Stücke im Geschäft ihr Dasein, selbst wenn sie längst verschwunden sein sollten. "Natürlich sind die Händler skeptisch, wenn da ein 28-Jähriger kommt und sagt: Ich schaffe es, die Möbel zu verkaufen, die bei euch ewig auf der Fläche stehen."

Dennis Franken (li.) und Christoph Ritschel von Möbel First geben Abverkaufsware ein neues Image.
Foto: Timo Becker

Der beste Preis

Ritschels Leute wissen, welche Produkte wo und zu welcher Zeit gut laufen. Sie sind keine Vermittler, sondern kaufen die Ware dem Händler ab und verkaufen sie weiter. Sie beraten die Kunden per Telefon "Wenn ich ein Möbel für 3.000 statt 5.000 Euro kaufe, will ich trotzdem beraten werden", sagt Ritschel. Geliefert wird gratis, und eine Garantie gibt's auch.

Neuerdings kann der Kunde online eine Anfrage nach einem bestimmten Möbelstück stellen – Möbel First sucht dann bei stationären Händlern nach dem besten Preis. Das Start-up aus Köln, das auch nach Österreich liefert, hilft so dem Handel, ein Stück weit digitaler zu werden – und letztlich mehr Möbel umzuschlagen. Das Unternehmen macht monatlich sechsstellige Umsätze, im September stieg der Händler Musterring als Investor ein. Die Kölner schicken sich an, die konservative Möbelbranche umzukrempeln.

Geringer Online-Anteil

Mit neun Prozent macht der Onlinehandel in Österreich nach Angaben des Consultingunternehmens Regioplan noch einen relativ geringen Anteil am Gesamtumsatz der Branche aus. Dennoch wirbelt er schon heute den traditionellen Möbelhandel durcheinander. Obwohl der Einrichtungsmarkt wächst (2016 gaben die Österreicher rund 5,2 Milliarden Euro für Einrichtung aus), ist der Umsatz der Möbeleinzelhändler im ersten Halbjahr des Jahres nach Angaben des Marktforschers KMU Forschung Austria um 0,8 Prozent zurückgegangen.

"Der stationäre Handel hat Glück, dass die Österreicher beim Onlinehandel nicht vorn dabei sind", sagte Ikea-Österreich-Manager Sebastian Knisch am Rande einer E-Commerce-Tagung an der Fachhochschule Oberösterreich. "Sonst wäre das ein Desaster." Ikea setzt in Österreich 673 Millionen Euro im Jahr um – doch davon fallen nur fünf Prozent auf den Onlinehandel.

Noch ist der Anteil des Onlinehandels mit Möbeln in Österreich mit neun Prozent relativ gering. Doch das dürfte sich ändern.
Foto: Getty Images/iStockphoto

Der Onlinehandel von Möbeln wird heute von Spezialisten dominiert. Präsent sind Portale wie Home 24 (Umsatz im letzten Jahr: 244 Millionen Euro), dessen langjähriger Chef Domenico Cipolla vor allem durch Seitenhiebe gegen den stationären Handel auffiel: "Die Händler sterben nicht, weil es den Onlinehandel gibt, sondern weil sie nicht in der Lage sind, den Wunsch des Kunden zu erfüllen."

In Werbespots kokettierte Schauspieler Oliver Korittke damit, dass man nicht mehr "bis zum Arsch der Welt fahren" müsse, um gute Möbel zu kaufen. Mit einem Katalog mit 180.000 Produkten (Bestseller: Sofas, Betten, Schränke) gehört Home 24 zu den Riesen der Branche. Nur: Gewinne schrieb das Unternehmen bislang nicht. Zeitweise wuchs das Geschäft um 130 Prozent, doch seit einiger Zeit stagnieren die Nutzerzahlen, Cipolla wurde abgesetzt.

Kuratiertes Einkaufen

Überholt wurde Home 24 im letzten Jahr vom Konkurrenten Westwing, gegründet von der Münchnerin Delia Fischer. Sie war immer wieder erstaunt darüber, dass es zwar Onlineshops für Mode und Beauty gab, sagt sie – nicht aber für Interiorprodukte. "Das habe ich nicht verstanden. Und selbst in einer großen Stadt wie München war es schwierig, schönes, individuelles und dazu erschwingliches Interior zu finden."

Obwohl Delia Fischer nicht wusste, wie sie ihren Traum von einem eigenen Onlineshop finanzieren sollte, kündigte sie mit 26 Jahren ihren Job und gründete mit Freunden Westwing. Ihr ungewöhnlicher Werdegang brachte ihr bei Investoren viel Aufmerksamkeit ein: Fischer studierte Modejournalismus und nicht BWL, arbeitete bei "Elle" statt in einer Bank oder Beratungsfirma. "Gerade meine nicht vordergründig zahlengetriebene Art zu denken war und ist ein wichtiges Gegengewicht zum Denken meiner Mitgründer."

Westwing ist ein Shoppingklub, der ähnlich Net-A-Porter oder Vente-Privee dem Prinzip des "kuratierten Einkaufens" folgt. Mitarbeiter stellen sogenannte Produktwelten aus oft stark rabattierten Artikeln zusammen, die über täglich wechselnde Kampagnen beworben werden. Die Angebote sind nur für Mitglieder sichtbar, was dem Ganzen einen exklusiven Anstrich gibt.

Bei Westwing läuft der Verkauf über Emotionalität, rund 90 Prozent der Kunden sind Frauen. Das Umfeld soll ästhetisch sein, Service und Beratung sind wichtig. "Alles was bei uns angeboten wird, muss stilvoll sein. Ich bin kein Fan von Algorithmen – Bauchgefühl ist für mich viel entscheidender", sagt Fischer. Da gibt es also britisches Porzellan, japanische Vasen und deutsche Messer ebenso wie alte Ikonen und neue Meister.

Im Prinzip macht Fischer noch heute das, was sie damals bei "Elle" tat – sie berät zu guter Einrichtung. Nur: Jetzt verkauft sie sie auch. Westwing beschäftigt mittlerweile 1500 Mitarbeiter in 14 Ländern, der Umsatz betrug im letzten Jahr 250 Millionen Euro, das Unternehmen war im vierten Quartal zum ersten Mal profitabel.

Die Münchnerin Delia Fischer von Westwing Home & Living ist eine der Großen im Onlinemöbelhandel.
Foto: Westwing Home & Living

Drei stationäre Anbieter

Von den 30 Millionen Westwing-Usern wohnen 300.000 in Österreich – dem am stärksten konzentrierten Möbelhandelsmarkt Europas, die Verkaufsfläche ist so groß wie das Fürstentum Monaco. Delia Fischer glaubt nicht, dass sie dem stationären Handel etwas wegnimmt. Mehr als zwei Drittel der Marktanteile werden in Österreich von drei Anbietern fest im Griff gehalten: XXXLutz, Kika/Leiner und Ikea. Die österreichische XXXLutz-Gruppe ist mit 4,05 Milliarden Euro Umsatz nach Ikea der zweitgrößte Möbelhändler in Europa.

Thomas Saliger, gelernter Tischler und heute Marketingleiter der Gruppe, weiß aber, dass auch sie sich ändern müssen: "Die Sortimente werden immer modischer und wechseln schneller, Trends und Farben aus der Modewelt werden intensiver aufgegriffen als früher", sagt er. Der Onlineanteil mache einen "nicht unerheblichen" Anteil am Umsatz von XXXLutz aus, sagt Saliger – Zahlen möchte er aber nicht nennen.

Die Konkurrenz aus dem Netz fürchtet der Marktführer nicht. Zum einen weil die Branche wenig Gewinn abwirft, aber im Gegenzug viel Know-how erfordere und "wahnsinnig viel Logistik". Zum anderen weil es im Möbelhandel immer um die Haptik gehen werde: "Digital oder stationär allein funktioniert auf Dauer nicht – warum sonst macht Home 24 einen Showroom auf?" Zupass kommt Saliger auch, dass traditionelle Möbelhäuser den größten Teil ihres Umsatzes noch immer mit Küchen machen, die kaum im Internet verkauft werden.

Löwenanteil Accessoires

Und auch die mittelständischen Händler in Österreich sind noch gut im Geschäft. Ein großes Händlersterben wie in Deutschland, wo ein gnadenloser Verdrängungswettbewerb herrscht, hat es nach Ansicht von Hubert Kastinger, Obmann des Einrichtungsfachhandels, noch nicht gegeben, die Zahlen blieben weitgehend konstant.

Doch es wird kommen: Viele kleinere Händler haben keine Kapazitäten, in den Onlinehandel einzusteigen. Nach Meinung von Experten wird die Bereitschaft, auch große Möbel im Internet zu kaufen, weiter wachsen. Der Trend zeige eine Teilung in ein Billig- und ein Luxussegment auf – die einen schauten auf den Preis, die anderen auf teure Designerstücke oder Anfertigungen vom Schreiner.

Zudem machen Möbelhändler mit Möbeln selbst immer weniger Umsatz, weil sie in den letzten Jahren ganze Branchen überrollt haben – Teppichhändler, Geschirr- und Heimtextilanbieter. Ikea macht heute weniger als die Hälfte seines Umsatzes mit Möbeln. Der Rest sind Accessoires.

Auch bei Westwing ist die beliebteste Produktkategorie Leuchten, gefolgt von Bettwäsche und Teppichen. "Das Möbelstück wird zu einem kurzlebigeren Gut", sagt Delia Fischer. Für die Unternehmerin ist die Sache klar: "Es ist doch sinnvoll, Dinge für das Zuhause auch von zu Hause aus zu kaufen." (Florian Siebeck, RONDO Open Haus, 13.1.2018)

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