Stadterkundung, auch wenn Wetter und Ort wenig attraktiv sind.

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Bregenz – Als 2016 der Bau eines städteplanerisch wenig ambitionierten Einkaufszentrums mitten in Bregenz drohte, antwortete eine Gruppe aus Architekten und Kulturschaffenden mit einer Initiative zum öffentlichen Nachdenken. Bürgerinnen und Bürger spazieren durch Bregenz, begleitet von Architekten, Raumplanerinnen, Historikern und Sozialexperten.

17 dieser Stadtspaziergänge wurden im Laufe des Jahres absolviert. Angewandte Promenadologie könnte man das frei nach Lucius Burckhardt, dem Begründer der Spaziergangwissenschaft, nennen. Die Spazierenden nehmen die gebaute Umgebung bewusst wahr, spüren der Qualität öffentlicher Räume nach, sehen ihre Stadt mit neuem Blick. Kombiniert mit monatlichen Vorträgen, zu denen internationale Experten geladen wurden, entstanden Impulse für die Stadtentwicklung.

Chance Bregenz Mitte

Initiiert wurde das gemeinsame Nachdenken von der Gruppe See und Stadt und Bregenz. Die Initiative sei ein Glücksfall, sagt Verena Konrad, Leiterin des Vorarlberger Architekturinstituts, "zivilgesellschaftliches Engagement – entstanden aus professioneller Expertise – ist selten". Nach einem Jahr der Stadterkundung wurde am Mittwochabend im Vorarlberg-Museum ein "Zehnpunkteprogramm für die Bregenzer Stadtentwicklung" präsentiert. "Chance Bregenz Mitte" nennt die Initiative das Papier.

Die Leitsätze richten sich direkt an die Verantwortlichen in Rat- und Landhaus, aber auch an die Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger: "Städtebau ist sichtbar gemachte Politik" lautet der erste Leitsatz. Architektur und Stadtplanung mache die Haltung gegenüber den Dingen und Menschen sichtbar. Es sei Aufgabe der Politik, für den Ausgleich privater und öffentlicher Interessen zu sorgen.

Die anwesenden Stadtverantwortlichen reagierten mit Schweigen. Vizebürgermeisterin Sandra Schoch (Grüne) sagte auf Nachfrage zum STANDARD, sie werde den Gestaltungsbeirat mit den zehn Leitideen befassen.

Gerüchte über Neuplanung

Die Seestadt würde neu geplant, berichteten regionale Medien. Der international tätige Vorarlberger Architekt Dietmar Eberle wurde ins Spiel gebracht. Eberle zum STANDARD: "Das sind Gerüchte. Ich habe keinen Auftrag für die Seestadt." Investor Bernhard Ölz (Prisma) bekräftigt: "Wir haben den Stopp für die Seestadt im Jänner bekanntgegeben. Bis dato haben sich die Rahmenbedingungen nicht verändert."

Hintergrund für das Gerücht dürfte ein anderer Auftrag Eberles sein. Er hat für die Stadt das Verdichtungspotenzial für den Zentrumsbereich zwischen Rathaus und Hafen untersucht. Die Möglichkeiten von Verdichtung in Breite und Höhe sollen in einem Bebauungsplan festgehalten werden. Das Potenzial sei ungeahnt groß, sagt Eberle.

Ob und wie sein Bebauungsplan zur Richtlinie für die künftige Gestaltung des Quartiers wird, hängt von politischen Entscheidungen ab. Leitsatz fünf – "Dichte fordert Qualität" – könnte Entscheidungshilfe sein: Hohe Dichte sei dann positiv, wenn sie einen Mehrwert für eine Mehrzahl der Menschen schaffe. (Jutta Berger, 30.11.2017)