Der erste "Restesupermarkt" Berlins verkauft, was andere wegwerfen.

Illustration: David Mathews

Die grünen Weintrauben sehen appetitlich aus, die Tomaten ebenso. Alles ganz normal, wie es in einem Supermarkt sein sollte. Nichts ist braun verfärbt oder welk. "Wir kontrollieren ja auch streng", sagt Raphael Fellmer. Das kann und muss man von jemandem, der Lebensmittel verkauft, auch erwarten – und im Fall von Fellmers Supermarkt erst recht.

SirPlus heißt der Store, er liegt in einer beliebten Einkaufsmeile und ist der erste "Restesupermarkt" Berlins. "Wir verkaufen, was andere wegwerfen", beschreibt der Chef das Konzept. Mit der "Rettung" von Essbarem hat Fellmer Erfahrung. Fünf Jahre lang lebte der Berliner bewusst ohne Geld und ernährte sich von dem, was andere übrigließen. Er bat in Lokalen um die Reste, in Supermärkten, in Bioläden.

Daraus wurde die Bewegung "Lebensmittel retten", Foodsaver holten die übriggebliebenen Lebensmittel ab, verteilten sie an sozial Bedürftige und ernährten sich auch selbst davon. Im Jahr 2013 berichtete Portfolio erstmals über Fellmer. "Es war eine tolle Zeit, aber wir waren immer in einem Graubereich, obwohl in Deutschland pro Minute eine Lkw-Ladung Lebensmittel vernichtet wird", erinnert sich Fellmer an die Phase ohne Geld.

Irgendwann kam Frage: Kann man die Idee professionalisieren? Die Antwort lautete: ja. Businessplan, Sponsorensuche, tausende Gespräche – es folgte die Ochsentour, die jeder Gründer erst einmal hinter sich bringen muss.

Das Team testet selbst

Im September eröffnete der Laden, es gibt sieben angestellte Mitarbeiter und neun Praktikanten. Auf 70 Quadratmetern finden Kunden nicht alles, was das Konsumentenherz begehrt, aber doch viel Verschiedenes. Neben Fruchtfüllungen für Muffins liegen Zutaten für einen Karfiolauflauf und Zitronenkuchen. Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist mit Oktober 2017 angegeben.

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Getreu dem Motto: "Die guten ins Töpfchen..." selektiert Raphael Fellmer die Produkte für seinen Supermarkt.
Foto: Reuters/Fabrizio Bensch

"Anfangs war ich skeptisch", gibt eine Kundin zu, "aber dann habe ich mit Reis und Mehl angefangen. Schmeckte alles ganz normal. Mittlerweile hole ich auch Obst und Gemüse hier." Fellmer und sein Team dürfen alles verkaufen, was ein Mindesthaltbarkeitsdatum hat – auch wenn dieses schon überschritten ist. Tabu sind Waren, auf denen der Hinweis "zu verzehren bis ..." steht.

Alles, was essbar ist, wird zunächst getestet, im Zweifelsfall kocht man auch mal "abgelaufene" Nudeln. "Es ist ganz einfach", sagt der Lebensmittelretter, "was gut riecht und gut schmeckt, ist genießbar." 2018 sollen auch Fleisch und Milchprodukte ins Regal, man tüftelt derzeit, wie die Hygienebestimmungen erfüllt werden können.

SirPlus kauft die Waren seinen Partnern – darunter sind Metro, Real und Bio Company – ab und bietet sie dann bis zu 70 Prozent billiger im eigenen Laden an. Die großen Ketten haben auch etwas davon, sie sparen Entsorgungskosten.

"Ich möchte, dass Lebensmittelretten cool und hip wird", sagt Fellmer. "Es soll eines Tages Mainstream sein und nicht den Ruf haben, das machen nur arme Leute." Apropos arm. Wie geht es dem mittlerweile zweifachen Vater, der mal ohne Geld lebte, nun als Chef? Er grinst und sagt: "Ich bin ein bisschen normaler geworden. Früher hatte ich nichts, jetzt eine Menge Schulden." (Birgit Baumann, Portfolio, 2017)