Heinz-Christian Strache informiert Bundespräsident Alexander Van der Bellen laufend über die Fortschritte bei den Koalitinsverhandlungen.

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Hinter den Tapetentüren tauscht man sich auch darüber aus, welche Anforderungen Minister mitbringen müssen.

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Der Bundespräsident ist laut Verfassung frei, wen er zum Regierungschef ernennt. Realpolitisch wird er an Sebastian Kurz nicht vorbeikommen.

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An ÖVP-Chef Sebastian Kurz liegt es, dem Bundespräsidenten konkrete Ministervorschläge zu machen.

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Wien – Zumindest eines hat Alexander Van der Bellen mit Harald Vilimsky gemeinsam: Nach seiner Antrittsrede im EU-Parlament, in der der frisch angelobte Bundespräsident heuer im Februar angesichts der erstarkenden unionsskeptischen Parteien "allen proeuropäischen Kräften Mut" zusprach, steuerte das Staatsoberhaupt schnurstracks auf den EU-Abgeordneten der FPÖ zu. Ob er eine rauchen wolle? Vilimsky, auch Vizefraktionschef des Rechtsaußen-Bündnisses ENF, das die EU gern verteufelt, schlug ein. Zur Verblüffung von Augenzeugen in Straßburg zündeten sich die beiden im verglasten Raucherkobel eine Zigarette an – und qualmten freundlich smalltalkend vor sich hin.

Doch vor kurzem verbrannte sich Van der Bellen die Finger: Bei einem EU-Botschaftertreffen im Wiener Hotel Imperial erklärte er, dass gegen Vilimsky und auch den blauen Wiener Vizebürgermeister Johann Gudenus genug vorliege, um Ersterem das Außen- und Zweiterem das Innenministerium zu verweigern. Seitdem ist man in der FPÖ, obwohl mit abfälligen Kommentaren zu VdBs Vorgehen bewusst zurückhaltend, arg verstimmt – weil die zwei Genannten ohnehin nicht diese beiden Ressorts übernehmen sollten und darüber auch längst Einvernehmen mit dem Bundespräsidenten herrschte.

ÖVP "irritiert" und "fassungslos"

In der ÖVP gibt man sich hinter den Kulissen "irritiert" und "fassungslos" – und die Hofburg ist damit beschäftigt, Details, die der Präsident gesagt haben soll, zu dementieren, allen voran Berichte der "Krone", die über ein offenbar bearbeitetes Protokoll verfügt.

Doch wie schwer wiegt Van der Bellens Fauxpas tatsächlich? Immerhin hat ihm im Vorjahr ein Gutteil seiner Wählerschaft wegen seines Versprechens, bei einer Regierungsbeteiligung der FPÖ nicht alles durchgehen zu lassen, das Vertrauen geschenkt.

In Van der Bellens Umfeld ist man derzeit bemüht, die Wogen zu glätten. Die Erläuterungen zu Vilimsky, Gudenus und Co bei dem Empfang seien nicht als Störmanöver gegen die sich anbahnende Koalition von ÖVP und FPÖ gedacht gewesen, wird versichert. Vielmehr würden an den Bundespräsidenten immer wieder Vertreter der Wirtschaft, der Industrie und der Wissenschaft herantreten, um ihre Sorgen über eine blaue Mitregentschaft zu deponieren – etwa, dass die Exportwirtschaft oder der Tourismus darunter leiden könnten. Ein Hofburg-Insider: "Van der Bellen versucht dann, die Ängste zu nehmen." Nichts anderes habe er auch im Kreis der 27 Diplomaten getan.

Nur kein Klestil-Szenario

"Außer Streit" steht jedenfalls für Juristen, dass das Staatsoberhaupt gemäß Artikel 70, Absatz 1 der Verfassung unter anderem Ministervorschläge des künftigen Kanzlers zurückweisen kann. Dazu erklärt Ludwig Adamovich, einst Präsident des Verfassungsgerichtshofes, jetzt Van der Bellens Berater in Rechtsfragen: "'Den A will ich nicht, sondern den B', das kann der Bundespräsident nicht sagen. Aber er darf ohne Weiteres erklären, dass er A nicht zu ernennen gedenkt."

Verfassungsexperte Heinz Mayer, im Wahlkampf in Van der Bellens Personenkomitee, erläutert außerdem, dass der Bundespräsident "in der Regel ein bis zwei Tage Zeit" habe, die Ministerliste zu prüfen – und Vorvorgänger Thomas Klestil sei zur Jahrtausendwende "schlecht beraten" gewesen, indem er sich allzu lange gegen Schwarz-Blau stemmte.

Erst am Vorabend zum 4. Februar 2000, an dem die Regierung von Wolfgang Schüssel (ÖVP) unterirdisch über den Ballhausplatz zur Angelobung in die Hofburg schritt, hatte Klestil dem damaligen FPÖ-Chef Jörg Haider mitgeteilt, er werde die Blauen Thomas Prinzhorn und Hilmar Kabas nicht als Innovations- bzw. Verteidigungsminister akzeptieren.

"Stopp der Überfremdung"

Die Begründung lautete: Der damalige FPÖ-Spitzenkandidat Prinzhorn hatte zuvor den Wahlkampf mit der Aussage angeheizt, dass "Asylanten und Ausländer (...) Medikamente zur Hormonbehandlung vom Sozialamt bekommen, um ihre Fruchtbarkeit zu steigern". Parallel dazu hatte die Wiener FPÖ unter ihrem Chef Kabas Plakate mit dem Slogan "Stopp der Überfremdung" affichiert.

"Klestil war in höchstem Maße erregt", erinnert sich sein ehemaliger Pressesprecher Hans Magenschab an die rund einstündige heikle Unterredung. Doch Haider habe "wider Erwarten" betont locker reagiert und sofort eingelenkt. Fazit: Herbert Scheibner und Michael Schmid wurden für die Ministerliste nachgereicht. Allerdings, meint Magenschab heute: Hätte Haider damals kein Einsehen gehabt, "wäre es zu einem schweren Konflikt zwischen dem Bundespräsidenten und dem Parlament gekommen" – wo längst eine Mehrheit für Schwarz-Blau gegeben war.

Ebenfalls unvergessen: Klestil stellte bei der Angelobung von Schwarz-Blau I wie II eine sauertöpfische Miene zur Schau. Beide Male titulierte er Außenministerin Benita Ferrero-Waldner außerdem als "Benito" – was ihm manche Koalitionäre mehr als einen Freud'schen Versprecher in Anlehnung an Italiens Faschistenführer Mussolini auslegten.

Eineinhalb Jahrzehnte später wollen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache wie auch Ex-Grünen-Chef Van der Bellen als nunmehr überparteiliches Staatsoberhaupt "aller Österreicher" peinliche Szenen verhindern. Deswegen gab es zu Beginn der Regierungsverhandlungen durchaus regen Austausch, versichern beide Seiten – vor allem dazu, welche Anforderungen ein Minister zu erfüllen habe.

Blaue Einsichten

Was die Freiheitlichen diesmal auch vermeiden wollen: dass ernannte Regierungsmitglieder wegen Überforderung bald wieder zurücktreten – wie einst Kurzzeit-Justizminister Michael Krüger nach 25 Tagen oder Sozialministerin Elisabeth Sickl nach knappen neun Monaten im Amt. Als Signal für eine längst erneuerte FPÖ bestätigte Strache nach dem unfreiwilligen Publikwerden von Van der Bellens Erwägungen prompt, Nahostkennerin Karin Kneissl als blaue Anwärterin, aber unabhängige Expertin für die Spitze des Außenministeriums vorzusehen – die Van der Bellen auch durchaus angeloben würde, wie es heißt.

Auf dem Parkett der Diplomatie gilt das Nennen seiner No-go-Kandidaten allerdings als schwerer Ausrutscher des Bundespräsidenten – weil er wissen müsse, dass die Botschafter alles Gesagte, auch gern Negatives, in ihren Heimatländern rapportieren, wie ein Kenner der Usancen erklärt: "Hinter der roten Tapetentür kann Van der Bellen zu Strache sagen: ,Der oder der wird nur über meine Leiche Minister.' Aber Namen vor Botschaftern zu nennen geht gar nicht."

Diplomatischer Tabubruch

Umgekehrt kommt aber auch das Veröffentlichen von vertraulichen Gesprächen des Bundespräsidenten im Botschafterkreis einem "Tabubruch" gleich, den es zuvor nicht gegeben hat. Denn auch Heinz Fischer hat diese Praxis des offenen Austausches unter Verschwiegenheitspflicht durchaus gepflogen, um so ungestört und auch unbefangener Probleme in der EU erörtern zu können.

Doch wie sehr hat sich der Bundespräsident mit seinen klaren Worten – nach seinen ebenfalls schon umstrittenen Aussagen zum muslimischen Kopftuch – selbst beschädigt? VdB-Kenner Mayer meint: "Wenn es Sorge unter den Botschaftern über künftige Minister gegeben hat, ist es legitim, Auskunft zu geben." Kritischer Nachsatz: "Van der Bellen kann seine vorbereiteten Botschaften sehr gut platzieren, doch wenn er spontan etwas gefragt wird, ist er bekannt dafür, nicht gerade jedes Wort auf die Goldwaage zu legen."

Ein anderer Vertrauter versichert, dass es Van der Bellen aber sehr wohl um einen behutsamen Umgang mit der FPÖ gehe, denn: "Die Partei ist gut aufgestellt, ihre Verhandler sind bemüht, keine Fehler zu machen." Und auch sehr wichtig am oft glatten Ballhausplatz: Bis jetzt bewiesen die Freiheitlichen bei Vereinbarungen "Handschlagqualität". (Günther Oswald, Nina Weißensteiner, 25.11.2017)