Der saudische Lobbyistentraum schlechthin ist in Erfüllung gegangen: Thomas Friedman schreibt in der "New York Times" über sein Gespräch mit dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman in Riad und übertitelt seinen Artikel mit "Saudi-Arabiens Arabischer Frühling, endlich". MbS, wie ihn auch Friedman abkürzt, bekämpft die Korruption und verordnet dem wahhabitischen Königreich einen moderaten Islam. Vorwürfe, dass nur die Korruption derer bekämpft wird, die MbS im Weg stehen, sind "lächerlich", sagt der 32-jährige Königssohn. Und die Sache mit dem Islam ist sowieso glasklar: Vor 1979 war der Islam in Saudi-Arabien sehr offen und zu Zeiten des Propheten Mohammed sowieso.

Na ja. Dabei kann man Friedmans These, dass sich in Saudi-Arabien derzeit der spannendste Reformprozess im ganzen Nahen Osten abspielt, durchaus zustimmen. Auch wenn die Veränderungen, die MbS forciert – wie etwa die Chauffiererlaubnis für Frauen –, pragmatische Gründe haben mögen: Wichtig ist, dass sie stattfinden. Aber diese Schwalbe macht noch keinen Arabischen Frühling. Der stünde in Aussicht, wenn MbS am Ende des Gesprächs anklingen ließe, dass er sich eine Zukunft vorstellen kann, in der Saudi-Arabien eine konstitutionelle Monarchie ist.

Systemwechsel

Hingegen erlebt das Königreich gerade einen Systemwechsel einer anderen Art: den Übergang von der Herrschaft einer Familie zur Herrschaft eines Einzelnen. Dass MbS das betreibt, entspringt nicht nur seinem eigenen unleugbaren Machtwillen, sondern auch einer dynastischen biologischen Zeitenwende: Die Reihe der Söhne von Staatsgründer Ibn Saud als Könige geht zu Ende. Offenbar ist eine Einigung auf Machtteilung in der Enkelgeneration nicht harmonisch zu erreichen. Und so gehört der Sieg dem "Tüchtigsten" – der als Sohn des regierenden Königs auch noch die besseren Karten hat.

Der Kronprinz, von dem erwartet wird, dass er seinen Vater noch vor dessen Tod beerbt, hat tatsächlich Zustimmung von breiten Teilen der Bevölkerung: Dass die riesige Familie und ihre Verbindungsleute sich vom Staatsvermögen ernähren, ist für viele ein Ärgernis, und in einer globalisierten Welt wissen die Bürger und Bürgerinnen, was ihnen an Freiheiten vorenthalten wird. Aber zur Disposition stehen nur bescheidene soziale und kulturelle Freiheiten. Politische – und da gehört die Religion dazu – Kritiker sitzen im Gefängnis: Und das wird auch während des neuen saudi-arabischen Frühlings weiter so bleiben. (Gudrun Harrer, 24.11.2017)