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Brücke zwischen Europa und Asien: Der Verkehr rollt wohl weiter über dem Bosporus in Istanbul. Politisch aber hat das Bild ausgedient. Die Wirtschaft spürt die Folgen.

Foto: AP/Emrah Gurel

Ankara/Athen – Als die türkische Zentralbank an den Schrauben dreht und das Kreditlimit ihres wichtigsten Leitzinssatzes auf null setzt, um den Sturz der Lira zu stoppen, da tritt Tayyip Erdoğan vor die Parlamentsabgeordneten seiner Regierungspartei und attackiert die USA. Und als Zentralbankchef Murat Çetinkaya erklärt, er wüsste, es gebe da ein großes Problem, aber er wüsste auch, was zu tun sei, da spricht Erdoğan von Verschwörungen in Washington gegen ihn und sein Land. Ein weiterer Tag zur Rettung der Lira versinkt am Dienstag in der Schlacht, die sich der türkische Staatspräsident mit Amerika und dem Westen liefert.

Politische Risiken und die hohe Verletzbarkeit durch äußere Einflüsse seien die große Schwäche der Türkei, heißt es im dieser Tage veröffentlichten Jahresbericht der Ratingagentur Moody's. Im Frühjahr hatte die Agentur die Bonität der Türkei von "stabil" auf "negativ" herabgesetzt. Auf welch wackligen Füßen die türkische Wirtschaft steht, zeigt sich jetzt: Die nationale Währung stürzt diese Woche auf ein für unvorstellbar gehaltenes Rekordtief von knapp vier Lira für einen US-Dollar. 4,63 Lira waren es für einen Euro am Dienstag. Die türkische Lira ist so schwach wie nie seit der Währungsreform von 2005.

Finanzmärkte zweifeln

Auch die Rendite für türkische Staatsanleihen mit einer Laufzeit von zehn Jahren kletterte am Dienstag weiter, von zwölf Prozent vergangene Woche auf nun 12,74 Prozent. Die internationalen Märkte zweifeln an Erdoğans Türkei.

Währungsturbulenzen kennen zwar alle aufstrebenden Volkswirtschaften, der zuletzt immer schneller gewordene Fall der Lira aber ist hausgemacht. Acht Prozent ihres Wertes verlor die türkische Währung allein in den vergangenen vier Wochen. Erst nahm die Justiz Anfang Oktober einen wichtigen Mitarbeiter des US-Konsulats in Istanbul fest, dann stoppte Washington die Visavergabe für US-Reisen in der Türkei.

Übers Wochenende kamen noch eine Krise mit der Nato dazu und Ermittlungen der türkischen Justiz gegen einen amtierenden Oberstaatsanwalt in New York und dessen Vorgänger. Nächste Woche sollte dort ein Strafverfahren beginnen, das brisant für die politische Führung in der Türkei ist. Der Vizedirektor der staatlichen türkischen Halk-Bank steht in Manhattan vor Gericht und in Abwesenheit auch ein früherer Wirtschaftsminister Erdoğans. Es geht um die Verletzung von Finanzsanktionen der USA gegen den Iran und nebenbei auch um Schmiergeldzahlungen an türkische Regierungskreise. Der Hauptangeklagte, der iranisch-türkische Goldhändler Reza Zarrab, ist nicht mehr dabei. Er soll eine Absprache über eine Strafminderung mit der Staatsanwaltschaft getroffen haben. Zarrab sagt dafür aus und belastet möglicherweise auch Erdoğan. Das ist die Verschwörung, die der türkische Staatspräsident nun sieht.

Export profitiert zunächst

Der türkischen Wirtschaft – sie ist auf Rang 17 in der Welt – kommt das unterm Strich teuer zu stehen. Zwar ist eine schwache Lira erst einmal gut für türkische Exporteure. Vor allem die Automobilindustrie legte in diesem Jahr stark zu. Der türkische Exportwirtschaftsverband TIM glaubt, heuer erstmals wieder nahe an die Rekordmarke des Jahres 2014 von 157 Milliarden Dollar zu kommen. Von 5,5 Prozent Wirtschaftswachstum geht die Regierung aus.

Doch dann wiederum ist alles andere mit einem Mal sehr viel kostspieliger: die Einfuhr von Rohstoffen für die Produktion, die in Dollar gezahlt wird, der Import von Gas und Öl, die Kredite türkischer Unternehmer, die in Dollar oder Euro aufgenommen wurden. Zum August dieses Jahres hatte die Realwirtschaft – also Produktion, Vertrieb und Konsum von Waren und Dienstleistungen – Dollar-gebundene Positionen in Höhe von 210 Milliarden US-Dollar; das entsprach einem Viertel des türkischen Bruttoinlandsprodukts.

So robust und so diversifiziert die türkische Wirtschaft auch ist: Ihre Abhängigkeit von ausländischem Kapital und vom Geschäft mit ausländischen Leitwährungen macht sie verwundbar. Erst vergangene Woche stellte die Zentralbank in Ankara ein neues System zur Absicherung von Währungsrisiken vor, das Anfang des Jahres schon Mexiko mit einigem Erfolg zur Stabilisierung des Peso eingeführt hatte. Türkische Banken können nun künftig mit Termingeschäften Dollar bei der Zentralbank kaufen und damit Verluste minimieren.

Zehn Prozent Inflation

Der Verfall der Lira treibt aber auch die Inflation an. Sie liegt nun bei knapp zehn Prozent und doppelt so hoch wie von Regierung und Zentralbank geplant. Weil Arbeitgeber in der türkischen Privatwirtschaft in aller Regel Gehaltsanpassungen vermeiden, wird das Leben für die Türken im Moment nur immer teurer. (Markus Bernath, 22.11.2017)