Unsere neue Parfum-Kolumnistin Ela Angerer ist Schriftstellerin und Autorin. Zuletzt veröffentlichte die gebürtige Wienerin im Aufbau-Verlag ihren Roman "Und die Nacht prahlt mit Kometen". "Ihren" Duft verdankt Ela Angerer einem Ratschlag der Modedesignerin Victoria Beckham.

Foto: Peter Rigaud/Aufbau

Zu den Kulturleistungen des Menschen zählt, dass er über mehrere Dinge gleichzeitig nachdenken kann. Also zum Beispiel über Politik, den Freiheitsbegriff von Hegel und ein neues Parfum. Dass man sich über Letzteres den Kopf zerbricht, ist neu – zumindest für mich.

Alles begann an einem schwülen Sommerabend, im Gastgarten einer Pizzeria in Wien. Meine Freundin, die Theaterschauspielerin, und ich trafen uns mit Künstlerfreunden. Die meisten davon Absolventen der hippen Richter-Klasse an der Akademie. Ob es an Daniel Richter liegt, keine Ahnung. Aber das sind Jungs, die bemerkenswerte XXL-Gemälde an Sammler verkaufen und dabei so trendy aussehen, als wären sie gerade für Saint Laurent über den Laufsteg gelatscht. Junge Kerle, die sich durch heiße Sommernächte trinken, in Collegeschuhen mit Socken. All das vernachlässigbare Spielereien natürlich. Aber sie verleihen doch eine gewisse Kernkompetenz im Fach "Der heißeste Scheiß".

Das Gespräch drehte sich zuerst um die Wahl des Weines, verweilte kurz bei einer aktuellen Ausstellung und landete dann bei einem Thema, zu dem ich nicht das Mindeste beitragen konnte: Parfum. Während der Kellner unsere Pizzas brachte, fielen Namen und Adressen, von denen ich noch nie gehört hatte. Ich war unfreiwillig in einem Fremdsprachenkurs gelandet. Ratlos beugte ich mich über meine dampfende Quattro Stagioni: "Hab ich euch richtig verstanden? Ihr diskutiert hier über Parfum?"

Parfum-Bars

Wie sich herausstellte, betreiben einige dieser Menschen in ihren Wohnungen seit neuestem Parfum-Bars: ganze Schubladen oder Schrankfächer, in denen Heerscharen funkelnder Flakons locken. Über den Tisch der Pizzeria schwebten Fachausdrücke wie "Layering": Frühere Generationen nahmen Mixed Tapes fürs Auto auf, heute erstellt man durch gekonntes Übereinanderlegen mehrerer Marken seine eigene Duftkomposition.

Stand in meinem Badezimmerschrank nicht dieses hellgrüne Fläschchen, seit Jahren kaum beachtet, zwischen Pflaster und Nagellack? Inzwischen schienen Spezialisten und aufgeschlossene Konsumenten das Thema zu einem Universitätslehrgang hochgejazzt zu haben. Ein Vorgang, den man bereits von anderen Gebrauchsartikeln kennt: Wer würde sich heute noch trauen, einfach Brot zu kaufen oder Allerweltskaffee?

Jetzt also auch noch Parfum, dachte ich. Aber in diesem Fall war an ermattetes Durchwinken nicht zu denken. Denn hier taten sich größere Möglichkeiten auf: Bestimmt würde das richtige Potpourri an Aromen auch meiner Persönlichkeit zur maximalen Überzeugungskraft verhelfen. Auch ich wollte meinen Signature-Duft haben.

"Mein Parfum"

In den folgenden Wochen machte ich mich auf die Suche nach "meinem Parfum". Ich schnupperte mich durch Probeflakons in Kaufhäusern, Parfümerien und einschlägigen Boutiquen. Entdeckte kleine, engagierte Geschäfte mit Kosmetikspezialitäten aus vergangenen Jahrhunderten, Inhaltsstoffe aus australischen Urwäldern, kanadischen Adlerhorsten und pakistanischen Tropfsteinhöhlen.

Während ich mich durch Kreationen wie "Nachtflug", "Mysterium", "Hypnose", "Dekadenz", "Verhängnis" und "Trouble" arbeitete, erinnerte ich mich an frühere Besuche. Musste man damals nicht jedes Mal verschämt das Terrain verlassen, wenn die zahlreichen Sprühstöße zu keinem Kaufentschluss geführt hatten? Davon war man mittlerweile weit entfernt. Überall riefen mir freundliche Verkäufer und Verkäuferinnen zu: "Lassen Sie den Duft auf Ihrer Haut wirken, gehen Sie mit ihm durch den Tag!" Niemand schien mich mit "Trouble" an der Kassa zu erwarten. Offensichtlich war man sich einig, dass es hier um große Entscheidungen ging – ganz so, als würde ich mir ein neues Auto oder eine Immobilie zulegen.

Man reichte mir die Hand. Doch mir fehlte es an Geduld. Zu Hause häuften sich die Fehlkäufe. Was in den ersten Minuten wie eine Meeresbrise über dem Garten von Eden in die Nase stieg, verkam nach einer Fahrradfahrt zu abgestandenem Blumenwasser. Klare Zitrus-Ansagen entwickelten sich auf meinen Handgelenken zu süßlichen Manövern, aufregende Weihrauch-Ouvertüren zu schwachen Abgängen. So konnte es nicht weitergehen.

Wenn es kompliziert wird, vertreibt man sich die Zeit gerne mit Youtube-Videos. Ich landete irgendwann bei Irina Shayk, einem Victoria-Secret-Model. Auf die Frage, welches Parfum sie bevorzuge, schnurrte sie wie eine Raubkatze ins Mikrofon: "I prefer natural frangrance oils."

Natürliche Duftöle

Das könnte die Lösung sein, dachte ich: natürliche Duftöle. Weg vom Irrgarten der tausenden Kristallflakons, hin zum radikalen Minimalismus von Lavendel und Pfefferminze. Eine selbst zusammengemischte Pflanzen-Avantgarde! Ich fuhr in den nächsten Bio-Shop. "Wie findest du, dass ich rieche?", fragte ich am nächsten Tag eine Freundin. "Äh, ja ... so was find ich gut als Raumduft." Das war die Killermeldung. Eine ganze Ladung an ätherischen Ölen würde ab sofort neben der alten hellgrünen Flasche in meinem Badezimmerschrank versauern.

Ich traf mich mit einem Freund, der als Modefotograf arbeitet, um mit ihm mein First-World-Problem zu besprechen. Bestimmt war ihm im Laufe seiner Berufsjahre schon die eine oder andere gute Fährte untergekommen. "Schwierig, schwierig ...", antwortete er. "Das letzte Mal, als ich fast durchgedreht bin, weil eine Frau so gut roch, stellte sich heraus, dass es die Magie von Tommy Hilfigers 'Girl' war." Dann sah er mich nachdenklich an und sagte: "Aber in deinem Alter könnte ein Teenie-Parfum natürlich ein interessanter Kick sein."

Warum auch immer: Ich glaubte ihm. Kurz vor Geschäftsschluss stand ich bei Müller auf der Mariahilfer Straße und legte mir ein pinkfarbenes Fläschchen zu, dessen Inhalt auf interessante Art nach Bazooka-Kaugummi roch. Aber es wurde dann doch nichts mit mir und dem teuren Kaugummi. Das entzückende Fläschchen macht jetzt meine Nichte glücklich.

Irgendwann blätterte ich beim Zahnarzt durch eine alte britische "Vogue". Darin verrät Victoria Beckham auf die Parfum-Frage: "Everything from XXX works good for me." Natürlich stand in dem Zitat nicht XXX, sondern ein bekannter Markenname. Welchen ich an dieser Stelle leider nicht verraten kann.

Denn – Ende gut, alles gut – einer der Flakons von XXX works auch supergut für mich. Das ist die große Neuigkeit in meinem Herbst: Ich bin nicht mehr nackt. (Ela Angerer, RONDO, 17.11.2017)